Hamburg unter Schock „Tat war sehr, sehr entsetzlich in der Art der Ausführung“
Hamburg (dpa) - Zurück bleiben ein leerer Bahnsteig und ein Kinderbuggy mit rosafarbener Tasche. „Tatort Jungfernstieg“ steht unter dem von der Polizei nach der Bluttat auf dem S-Bahnhof in der Hamburger Innenstadt veröffentlichten Foto, das die Szene zeigt.
Das erst ein Jahr alte Mädchen, das wohl in dem Buggy saß, ist da schon ein paar Stunden tot - wie seine Mutter, die nur wenig später ihren schweren Verletzungen erlag. Verletzungen, die ihr nach Erkenntnissen der Polizei von ihrem Ex-Mann und Vater des Kindes beigebracht wurden - vor den Augen vieler Menschen auf dem Bahnsteig.
Eine ältere Dame zeigt auf die Blutstropfen, die sich eine Etage höher über die hellen Fliesen des unterirdischen Bahnhofs ziehen. „Es ist doch schrecklich, wenn man so etwas sieht“, sagt sie. Am helllichten Tage, mitten in der Innenstadt. Zusammen mit ihrem Mann wollte sie eigentlich die S-Bahn nehmen. Nun sperrt Flatterband die Abgänge zu dem Bahnsteig ab, der jetzt Tatort ist. Ob das Blut tatsächlich von der Mutter stammt, die zunächst noch reanimiert und ins Krankenhaus gebracht wurde, bleibt unklar.
„Die Tat war sehr, sehr entsetzlich in der Art der Ausführung, sehr gezielt und sehr, sehr massiv“, sagt Polizeisprecher Timo Zill. Gegen 10.50 Uhr seien die ersten Notrufe bei der Polizei eingegangen. Ein Mann habe mit einem Messer auf ein Kind und eine Frau eingestochen, hätten die Zeugen berichtet. „Wir gehen nach derzeitigen Stand von einer Beziehungstat aus.“
Der mutmaßliche Täter ist schnell gefasst. Zunächst war der 33-Jährige aus dem westafrikanischen Niger dem Polizeisprecher zufolge noch geflüchtet, hatte dann aber selbst die Polizei informiert. „Er hat die 110 gewählt und seinen Standort mitgeteilt.“ In der Einkaufsmeile Mönckebergstraße, also in der Nähe des Tatorts, hätten Polizisten ihn festgenommen. Er werde von der Mordkommission vernommen, berichtet Zill. Warum der Mann mutmaßlich auf seine Ex-Frau, eine 34-jährige Deutsche, und seine erst ein Jahr alte Tochter einstach, ist noch unbekannt.
Ein Kriseninterventionsteam ist vor Ort. Es betreut die vielen Zeugen, die sich während der Bluttat auf dem Bahnsteig befanden. Aber auch Einsatzkräfte müssten die Hilfe der Seelsorger in Anspruch nehmen, sagt Zill.
Die Tat selbst habe er zwar nicht mitbekommen, aber gesehen, wie die schwer verletzte Frau aus dem Bahnhof hinausgebracht wurde, sagt Gabriel Kraft. Der 38-Jährige arbeitet in einem Backshop auf der ersten Ebene des Bahnhofs, wo auch kurz nach der Tat wieder viele Menschen zu den Bahnsteigen eilen. Mitarbeiter der Bahn versuchen, den Fahrgästen Alternativen zur S-Bahn zu zeigen. Der Tunnel, der den Hamburger Hauptbahnhof mit Altona verbindet, ist wegen der Tatortarbeit der Polizei komplett gesperrt.
„Leider, leider muss man auf so etwas gefasst sein“, sagt Kraft. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet er auf dem Bahnhof. Schon viel habe er seither erlebt. Immer wieder komme es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, vor allem abends. „Es wird 20 Uhr, und dann geht es hier los.“ Er könne sich auch noch gut an den Fall eines 19-Jährigen erinnern, der 2010 von anderen Jugendlichen auf dem S-Bahnsteig erstochen wurde.
„Das war ja nun eine Beziehungstat und nichts mit Terror.“ Renate Günther zeigt sich fast ein bisschen erleichtert, als sie keine zwei Stunden nach der Bluttat am Bahnhofseingang steht. Die 78-Jährige ist gebürtige Hamburgerin, lebt aber in Glinde. Sie will ihren Enkel von der Schule abholen. In ihrer persönlichen Sicherheit fühle sie sich durch die Tat zwar nicht bedroht, aber die allgemeine Entwicklung mache ihr Sorgen.
„In was für einer Welt leben wir?“, fragt Joyce und pflichtet ihr bei. Die 39-Jährige macht Politik und Medien für die von ihr empfundene Zunahme der Gewalt verantwortlich. „Sie zeigen den Menschen doch nur, wir müssen Angst haben.“ Dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen Ausländer handele, spiele für sie keine Rolle. Viel schlimmer sei doch, dass diese Tatsache die altbekannten Diskussionen nun wieder anheize. „Es ist an der Zeit, dass die Menschen mal aufwachen und wieder mit Frieden und Ruhe ins Leben gehen.“