Thomas Bach: Ein Leben für den Sport

Berlin (dpa) — Thomas Bach blickt nicht gern zurück. Seine Gegenwart ist die Zukunft, und die ist seit langer Zeit systematisch geplant. Offen zugeben hat der IOC-Vize das noch nicht. Der Musterfunktionär aus Tauberbischofsheim ist aus Erfahrung vorsichtig.

Zu viel Offenheit ist gefährlich bei seinem Gipfelsturm — zu viel Zurückhaltung oder Naivität auch.

Der 59-Jährige denkt in großen Linien. Die Vorwürfe, aus seinen Ehrenämtern berufliche Vorteile zu ziehen, hat der ehemalige Fechter stets pariert. Die Kritik seiner Gegner, ihm fehle Charisma oder gar staatsmännisches Auftreten, prallt an dem pragmatischen Juristen ab.

Bach hat viele Facetten. Schwache Nerven gehören nicht dazu. Der DOSB-Präsident weiß, was er tut und was er will. Zufälle ausgeschlossen. Sein rasanter Aufstieg findet in der Ringe-Organisation kaum eine Parallele. Nach dem Olympischen Kongress 1981 in Baden-Baden wurde er in die neu geschaffene Athleten-Kommission berufen. Der inzwischen verstorbene IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch hatte den ambitionierten Advokaten schon damals im Auge und ihn immer wieder als Kandidaten auf die Nachfolge des ausscheidenden IOC-Präsidenten Jacques Rogge positioniert.

Samaranch war nur einer der väterlichen Gönner, die Bach das sportpolitische Know-How erklärten. Auch Adidas-Chef Horst Dassler brachte ihn früh in Stellung und beschäftigte den strebsamen Strategen von 1985 bis 1987 als Direktor für Internationale Beziehungen. Bereits 1991 gelang Dr. jur. Bach der Sprung ins Internationale Olympische Komitee (IOC) — sein großer nationaler Förderer Willi Daume hatte seinen Platz für ihn geräumt.

Bach hat inzwischen nahezu alle Rollen im Ringe-Zirkel schon erfolgreich gespielt und dabei die vielschichtigen Seiten der olympischen Bewegung kennengelernt. Bei den Winterspielen 2010 in Vancouver wurde er zum dritten Mal nach Sydney 2000 und Turin 2006 zum IOC-Vizepräsidenten gewählt. Gegenwärtig bringt der Franke seine Kompetenz unter anderem als Vorsitzender der Juristischen Kommission und als Chef der Disziplinarkammer bei Olympischen Spielen ein.

Bach ist zudem Mitglied der IOC-Kommission für Marketing, hat die europäischen TV-Rechte verdealt, war Vorsitzender der Berufungskammer des Internationalen Sportgerichtshofs CAS - und beherrscht das strategische Winkelspiel in der olympischen Familie wie kaum ein Zweiter. „Ich genieße meine Tätigkeit in der olympischen Bewegung sehr, und daraus habe ich auch nie ein Geheimnis gemacht“, sagte Bach.

Der IOC-Kronprinz versucht erst gar nicht, seinen Ehrgeiz zu verstecken. Seine positive Besessenheit treibt ihn an. Als Athletensprecher hatte er 1980 ohnmächtig miterleben müssen, wie ein Großteil der westlichen Welt die Olympischen Spiele in Moskau boykottierte. Seine versuchte Intervention bei Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde abgeschmettert. Die Demütigung, die er dabei empfand, hat er bis heute nicht vergessen. 33 Jahre lang hat er sich mit Schmidt nicht ausgesprochen.

Sport sei persönlichkeitsbildend, sagt Bach. Als kleiner Junge wollte er eigentlich immer Fußball spielen, aber seine Eltern schickten ihn zum Fechten. Florett. Das Fechten sei die bessere Körperschulung, war die Begründung. Im Alter von 14 Jahren verlor er dann seinen herzkranken Vater und musste früh lernen, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Sein Talent und eigenständiger Geist führten ihn bis zum olympischen Mannschaftsgold 1976.

Tatsächlich waren die zahlreichen Duelle auf der Planche das ideale Training fürs Leben. Dadurch hat Bach das Kämpfen gelernt, die Beharrlichkeit und Raffinesse, die Gegner verzweifeln lassen — aber auch die Geduld, auf den richtigen Moment zu warten. Jetzt ist der richtige Moment für ihn.

Nach der Ära Rogges, der das IOC aus der größten Glaubwürdigkeitskrise seiner 119-jährigen Geschichte führte, brauchen die Olympier einen Reformer und Visionär an ihrer Spitze, einen Traditionalisten mit dem Mut zur Öffnung. Bach gibt sich gern als bodenständiger Realist. Sein Lebensmittelpunkt ist das beschauliche Tauberbischofsheim. In der fränkischen Provinz hat er sich seine Anwaltskanzlei aufgebaut, dort geht er gern mit seiner Frau Claudia sowie seinem Hund spazieren, und dort wirkt er als Aufsichtsratsvorsitzender der Michael Weinig AG, dem Weltmarktführer für Holzverarbeitungsmaschinen.

Bach kann viele Rollen und auch mühelos zwischen ihnen hin- und herwechseln. Mal profiliert er sich als Lobbyist, mal als Doping-Polizist, mal als Machtmensch. Seit Mai 2006 Gründungspräsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), hat der Stratege in seiner bisherigen Amtszeit bewiesen, dass er Politik und Wirtschaft für Großprojekte erfolgreich vereinen kann. Dabei holte er sich auch die Qualifikation, eine komplexe Organisation führen zu können. Stolz verweist der FDP-Mann regelmäßig darauf, der DOSB arbeite mit 14 Bundesministerien zusammen. Kritiker bemängeln, er vernachlässige den Breitensport.

Der Netzwerker ist analytisch, fintenreich und berechnend, aber Bach ist vor allem eines: schwer greifbar. Seit mehr als 30 Jahren kämpft er unverdrossen für die Autonomie und moralische Integrität des Sports. Im Rahmen der Siemens-Bestechungsaffäre geriet er selbst in die Negativ-Schlagzeilen. Sein lukrativer Beratervertrag mit dem Münchner Weltkonzern wurde durchleuchtet, der Wirtschaftsjurist sah sich Vorwürfen des Interessenkonflikts ausgesetzt. Der Präsident der deutsch-arabischen Industrie — und Handelskammer vermische Beruf und Ehrenamt, so die Anschuldigungen.

Im Juli 2008 verlor Bach sein hoch dotiertes Siemens-Mandat. Weitere Folgen blieben aus. Die Compliance-Abteilung von Siemens teilte mit, eine Überprüfung von Bachs Aktivitäten habe zu „keinerlei Beanstandungen“ geführt, an seiner Integrität bestünden „keine Zweifel“. Seiner steilen Funktionärskarriere hat die Causa nicht geschadet. Im Gegenteil: Zielstrebig ging Bach seinen Weg.

Der intellektuelle Denker will sich nicht verbiegen lassen. Selbst die gescheiterte Münchner Olympia-Bewerbung um die Winterspiele 2018 konnte er für seine persönlichen Pläne positiv nutzen. Seine Aufgabe als Anführer der Kandidatur gab ihm nämlich eine andere, im persönlichen Wahlkampf möglicherweise entscheidende Perspektive auf die Kräfteverhältnisse im IOC — die eines Bewerbers.