Trauernd zum Alltag: Norwegen sucht seinen Weg

Kopenhagen/Oslo (dpa) - Norwegen sucht seinen Weg zurück in den Alltag nach dem furchtbaren Massenmord vom Wochenende.

Dabei helfen sich die fünf Millionen Bürger im Norden Europas auch selbst: mit den bewegenden Trauer-Versammlungen Hunderttausender in praktisch allen Städten, mit einem Meer von Rosen und mit den für einen solchen Gewaltexzess ungewöhnlichen, liebevoll nach vorn gerichteten Worten aus dem Königshaus und von Norwegens Regierungschef Stoltenberg.

„Heute abend sind die Straßen mit Liebe gefüllt“, sagte Kronprinz Haakon gleich dreimal vor 200 000 Osloern am Montagabend. Das war fast die Hälfte der Gesamteinwohnerzahl. Auf dem Heimweg legten viele Teilnehmer des „Rosenzuges“ ihre mitgebrachten Blumen irgendwo an passender Stelle ab. Die Kameras des TV-Senders NRK konnten am Tag danach gigantische Blumenmeere als Symbol für die stille Trauer unter den Skandinaviern zeigen.

Jetzt kehrt allmählich der Alltag zurück - und mit ihm kommen auf das Land auch eine Menge unangenehmer und konfliktreicher Fragen zu: Was war alles schiefgegangen, bis die Polizei nach erst einer Stunde am Ort des schrecklichen Massakers gegen Teenager auf der Insel Utøya zur Stelle war? War und ist der Attentäter Anders Behring Breivik, ein rechtsradikale Islamhasser, wirklich nur ein wahnsinniger Einzeltäter oder vielleicht das Produkt einer zunehmend härteren Grundstimmung in der Gesellschaft?

„Diesen Mann hätte nicht einmal Stasi-Deutschland stoppen können“, wehrte sich die Chefin des Geheimdienstes PST, Janne Kristiansen, in der Tageszeitung „Dagbladet“ gegen den Vorwurf, man habe Breiviks Überwachung nach durchaus registrierten Chemikalien-Einkäufen zu lasch betrieben. Siv Jensen, Vorsitzende der rechtspopulistischen Fortschrittspartei, musste erste Vorwürfe wegen „geistiger“ Mitverantwortung für die Anschläge zurückweisen. „Geschmacklos“, sagte Jensen, deren Partei nicht zuletzt durch Forderungen nach Verschärfungen bei der Zuwanderungspolitik 2009 22,9 Prozent der Stimmen bekam. Sie ist Norwegens zweitstärkste Partei.

Dass der sozialdemokratische Ministerpräsident Jens Stoltenberg und seine Partei ihre Rolle als führende politische Kraft durch die schrecklichen Ereignisse am Wochenende für lange Zeit zementiert haben, steht in Oslo außer Frage. Die Arbeiterpartei war auf denkbar grausame Weise das Ziel beider Anschläge. Auch als Chef dieser Partei hat Stoltenberg sein Land souverän und für alle überzeugend durch das Chaos und den Schock der folgenden Tage gelenkt.

Aber auch auf den 52-jährigen Ministerpräsidenten dürften bald recht kontroverse Fragen zur liberalen norwegischen Gesellschaftsstruktur zukommen: Wie konnte der Massenmörder so einfach und legal an zwei Schusswaffen gelangen? Warum konnte er seine aufwendigen Mordpläne ohne Probleme mit massiven Kreditkarten-Schulden finanzieren?

Noch aber sind die Opfer nicht zur letzten Ruhe gebettet. Für die im September anstehenden Kommunalwahlen haben sich alle Parteien auf die Aussetzung des Wahlkampfes bis Mitte August geeinigt.