SPD-Kritikerin Trotz Krebserkrankung: An Frau Neumann kommt derzeit keiner vorbei
Gelsenkirchen. Die zurückliegende Woche wird Susanne Neumann so schnell nicht vergessen. Erst am Montag hatte die Gewerkschafterin und Putzfrau aus Gelsenkirchen SPD-Chef Sigmar Gabriel schlagfertig und charmant in Erklärungsnot gebracht.
Fast täglich war die 56-Jährige seitdem im Fernsehen. Zeitungen brachten Interviews mit ihr. Am Wochenende war Pause. Nur Radio, sagt sie.
Bei Anne Will hatte Neumann Mitte April ihren ersten Auftritt. Thema war Altersarmut. Nach der Sendung konnte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sie zum Eintritt in die SPD bewegen. Kraft war darüber so begeistert, dass sie ein Video davon ins Netz stellte.
Dann kam die Wertekonferenz der SPD in Berlin. Neumann im Gespräch mit dem Vizekanzler. Sie regt sich auf, dass die SPD nichts gegen befristete Arbeitsverträge in der Wirtschaft tut. Sorry, sagt Gabriel, war mit der Union nicht zu machen. „Warum bleibt ihr dann bei den Schwatten?“, fragt Frau Neumann. Der Saal jubelt. Seitdem kann sich die Frau mit den kurzen Haaren, die kein Blatt vor den Mund nimmt, vor Anfragen kaum retten.
Ein Anruf bei ihr. Die ehrenamtliche Vorsitzende des IG BAU-Bezirks Emscher-Lippe-Aa sitzt bei der Geburtstagsfeier ihrer Schwiegermutter und lässt sich zu einem kurzen Interview überreden. Wie ihre Tage gerade aussehen? „Das kann ich ihnen nicht beschreiben. Es gibt eine Anfrage nach der anderen, ein Interview nach dem anderen. Das ist wie eine Lawine“, sagt sie freundlich. Auf ihrem Handy seien 60 Anrufe.
Ihre Leute machten sich schon Sorgen um sie. Erst vor einem Jahr war eine Krebserkrankung festgestellt worden. Seitdem ist sie krankgeschrieben. Mittlerweile ist sie auf dem Weg der Besserung. „Ich hoffe, dass ich im August eine Wiedereingliederung machen kann.“ Seit 1981 habe sie als Putzfrau gearbeitet, also 34 Jahre.
Ihr Mann, ihre Kolleginnen bei der Gewerkschaft: „Die machen sich alle Sorgen, dass es zuviel wird. Im Grunde haben sie recht. Es geht ein Stückchen über das körperliche Limit.“ Und dann das große Aber: „Ich habe die Gelegenheit, für meine Kolleginnen und Kollegen etwas zu tun“, sagt sie und klingt so gar nicht müde. „Wie oft kommt denn Otto Normalverbraucher in eine Situation, so etwas öffentlich vorbringen zu können?“ So etwas, das ist ihre Kritik an den befristeten Arbeitsverträge, an Leiharbeit und Altersarmut.
Und die SPD? Was braucht diese Partei im Moment am dringendsten? „Mehr Mitglieder. Und mehr, die zur Wahlurne gehen. Und die müssen zusehen, dass sie ein ordentliches Parteiprogramm aufstellen.“ Sie selbst sei ja nun seit vier Wochen Mitglied. „Mein erster Beitrag ist wahrscheinlich noch nicht abgebucht.“ Je nachdem, wie es mit der Partei weitergehe, sei sie aber auch bereit, sich einzubringen. „Soweit ich es kann.“ (dpa)