Türkische Gemeinde ruft zur Besonnenheit auf
Stuttgart (dpa) - Die Türkische Gemeinde in Deutschland beobachtet nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei die Lage hierzulande mit Sorge. Der Bundesvorsitzende Gökay Sofuoglu sagte der dpa in Stuttgart, die Stimmung unter den türkischstämmigen Menschen in Deutschland sei sehr angespannt.
Es gehe ein Riss durch die türkische Gesellschaft. „Es werden Freundschaften aufgekündigt. Und auch innerhalb von Familien gibt es Probleme.“ Ob es in Deutschland zu Gewalt kommen könnte, wolle er nicht prophezeien. „Ich kann nur zur Mäßigung aufrufen.“ Man könne in Deutschland demonstrieren und seine Meinung kundtun - aber ohne Gewalt.
In der Türkei, aber auch in Deutschland, bringe man Menschen schnell mit den Putschisten Verbindung - vielleicht zu Unrecht. „Man kann in der Türkei sehr schnell zum Helden und schnell zum Verräter werden.“ Die Entwicklung in der Türkei müsse man besonnen verfolgen. Sofuoglu ist auch Landeschef der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg.
Mitte Juli hatten Teile der türkischen Streitkräfte vergeblich versucht, den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu stürzen. Die türkische Regierung macht die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich.
Sie fordert von Deutschland die Auslieferung türkischer Gülen-Anhänger. Der türkische Generalkonsul in Stuttgart forderte die baden-württembergische Landesregierung auf, Einrichtungen der Gülen-Bewegung, wie zum Beispiel Schulen, zu überprüfen. Das sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Kretschmann zeigte sich davon befremdet und kündigte an, der Aufforderung nicht zu folgen. Ihm seien keine Belege für die Behauptung bekannt, dass die Gülen-Bewegung für den Putsch in der Türkei verantwortlich sei. Schulen, die der Gülen-Bewegung nahestehen, sind deutsche Schulen, an denen nach dem baden-württembergischen Bildungsplan unterrichtet wird, wie Kretschmann betonte.
Grünen-Bundeschef Cem Özdemir kritisierte nach Darstellung der Zeitung die Einflussversuche der Türkei in Deutschland. Der Arm des türkischen Staatspräsidenten Erdogan möge in viele Teile der türkischen Gesellschaft reichen. „In Stuttgart, Berlin und anderswo hat er aber nichts verloren.“
Die Integrationsbeauftragte des Bundes, Aydan Özoguz, wandte sich gegen den Versuch der Regierung Erdogan, Einfluss auf die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland zu nehmen: „Ich sehe mit Sorge, dass die Verbundenheit vieler hier lebender Menschen mit der Türkei mitunter massiv politisch instrumentalisiert wird.“
Auch der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach warnte im SWR vor steigendem Einfluss Ankaras in Deutschland. Angesichts der für Sonntag in Köln geplanten Kundgebung von Erdogan-Anhängern sagte Bosbach, er bedaure dass es offensichtlich ohne weiteres möglich sei, Tausende zu mobilisieren, die begeistert sind, dass die Türkei mit Riesenschritten von einer Demokratie in Richtung autoritäres Regime abdrifte.