Umstrittene V-Mann-Praxis: Obleute im NSU-Ausschuss fordern Reformen
Berlin (dpa) - Der NSU-Untersuchungsauschuss im Bundestag fordert neue Regeln im Umgang mit V-Leuten beim Verfassungsschutz. Die Kooperation mit dem umstrittenen Informanten „Piatto“ sorgte am Montag in dem Gremium für scharfe Kritik und den Ruf nach Reformen.
Der Mann war 1995 wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Im Gefängnis bot er sich dem Brandenburger Verfassungschutz als Informant an. Einer seiner damaligen V-Mann-Führer, der heutige sächsische Verfassungsschutzchef Gordian Meyer-Plath, verteidigte die Zusammenarbeit mit dem Neonazi. Dessen Hinweise seien „äußerst ertragreich“ gewesen.
Meyer-Plath steht seit August kommissarisch an der Spitze der sächsischen Behörde, zuvor hatte er lange in der Verfassungsschutzabteilung des brandenburgischen Innenministeriums gearbeitet. In Potsdam gehörte Meyer-Plath in den 90er Jahren zu den Führern von „Piatto“. Der Verfassungsschützer sagte, der Mann habe alle Informationen aus der rechten Szene aufgesogen und ausführlich berichtet. „Besser geht es nicht.“ „Piatto“ habe über sechs Jahre verteilt insgesamt 50 000 D-Mark für seine Zuarbeit erhalten.
Der V-Mann lieferte 1998 auch Hinweise auf das gerade abgetauchte rechtsextreme Terrortrio NSU. Die Informationen landeten aber nicht bei den zuständigen Polizeiermittlern. Dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ werden zwischen den Jahren 2000 und 2007 zehn Morde an türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin zur Last gelegt. Die Bande flog erst Ende 2011 auf.
Meyer-Plath sagte, die Hinweise des Informanten zu den drei Untergetauchten hätten er und seine Kollegen zunächst „unter Verschiedenes“ verbucht. „Der Sachverhalt sagte uns damals gar nichts, wir hatten das nicht auf dem Radar.“
„Piatto“ kam damals im Gefängnis in den Genuss von gelockerten Haftbedingungen, und er kam vorzeitig auf freien Fuß. Meyer-Plath wandte sich gegen Vorwürfe, der Verfassungsschutz habe dies maßgeblich vorangetrieben.
Ihm sei bekannt gewesen, dass der Mann ein führender und gefährlicher Rechtsextremist gewesen sei, sagte der Verfassungsschützer. Seine Vorgesetzten hätten sich damals aber aus strategischen Gründen für die Kooperation entschieden. „Ich habe die Früchte geerntet und das nicht hinterfragt“, sagte Meyer-Plath. Heute würde es mit einer solchen Person keine Zusammenarbeit mehr geben. „Die Zeiten haben sich geändert.“
Die Obleute im Ausschuss rügten die frühere Praxis im Umgang mit V-Leuten. Sie kritisierten vor allem, dass der Verfassungsschutz sich überhaupt auf einen Straftäter wie „Piatto“ eingelassen und ihm viele Vorteile gewährt habe. Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) mahnte: „Es kann nicht sein, dass man einen rechtsextremen Straftäter auch noch indirekt belohnt.“ Der Grünen-Obmann Wolfgang Wieland forderte: „Wir brauchen dringend gesetzliche Regelungen.“ Interne Richtlinien reichten nicht aus. Der Unions-Obmann Clemens Binninger (CDU) beklagte, der Fall habe den Rechtsstaat an seine Grenzen gebracht. Für die Zukunft seien klare Vorschriften nötig.