#ParisAttacks „Unerbittlich und pausenlos“ - Anti-Terror-Einsatz bei Paris
Saint-Denis (dpa) - Fünf Tage nach dem blutigen Anschlag auf das Leben in Paris ist der Schrecken wieder da. „Kurz nach vier Uhr ist es losgegangen“, sagt Esten Tarwoz. „Ein lauter Knall hat uns geweckt, ich hatte wahnsinnige Angst.“
Die 64-jährige Hausfrau und ihr Mann sind vor Jahrzehnten aus Algerien nach Frankreich gekommen und leben schon lange in Saint-Denis, vor den Toren von Paris. In ihrer Nachbarschaft sprengt sich am Mittwochmorgen ein Mensch bei einem Anti-Terror-Einsatz in die Luft, ein Mann stirbt bei der Schießerei mit Polizisten. Mehrere Personen werden festgenommen.
Am Abend wird deutlich, warum die Einsatzkräfte so massiv in Saint-Denis vorgegangen sind, mit militärischer Unterstützung. Bei dem siebenstündigen Einsatz sei ein Terrorkommando „neutralisiert“ worden, das zu einem weiteren Anschlag in der Lage gewesen sei, sagt Staatsanwalt François Molins im Justizpalast von Paris.
Ob tatsächlich der gesuchte Abdelhamid Abaaoud zu der Gruppe gehörte, bleibt aber offen - er sei nicht unter den Festgenommenen, und die Identifizierung der Toten sei nicht abgeschlossen, erklärt Molins. Abaaoud wird beschuldigt, bei den Anschlägen vom Freitag mit 129 Todesopfern eine maßgebliche Rolle gespielt zu haben.
„Die Operation ist äußerst schwierig und komplex gewesen“, sagt Molins. Was die Menschen mitten im Wohnviertel auszuhalten haben, ist kaum zu erahnen. Das liegt auch daran, dass die Terrorfahnder mitten in einem Wohngebiet zuschlagen. Die „konspirative Wohnung“ liegt im dritten Stock eines Hauses an der Ecke der Rue de la République und der Rue du Corbillon.
Die Anwohner können erst nach und nach in Sicherheit gebracht werden. Mehr als 60 Anwohner müssen psychologisch betreut werden. „Der Lärm der Explosionen und Schüsse hat sie zutiefst verstört“, sagt der Mediziner Jean-Marc Agostinucci vom Roten Kreuz.
Saint-Denis hat einen Tag im Belagerungszustand erlebt. Spezialkräfte mit Sturmhauben laufen am Morgen durch die Straßen. Hubschrauber kreisen, Krankenwagen, Rotes Kreuz und Feuerwehr sind im Einsatz. An einer Straßenkreuzung sichern Soldaten den Platz, mit Sturmgewehren im Anschlag.
„Bei dem Gedanken, dass ich hier in direkter Nachbarschaft in einem Viertel mit Terroristen zusammengelebt habe, habe ich ein mulmiges Gefühl“, sagt der Sportlehrer Bouboute Amrane. Der 50-Jährige ist wie viele Anwohner auf die Straße gegangen, um zu sehen, was los ist. Gerüchte machen die Runde. Die Situation ist angespannt, die Polizisten wirken nervös.
Die nach Saint-Denis führende Metrolinie 13 hat den Betrieb eingestellt. Die Zufahrtstraßen aus Paris sind gesperrt. An der Porte de la Chapelle bricht der morgendliche Berufsverkehr zusammen. Wer zur Arbeit nach Paris will, steckt stundenlang im Stau oder ist kilometerweit zu Fuß unterwegs wie der 21-jährige Berufsschüler Naty Worku: „Ich bin erschüttert und hoffe, dass bald wieder das normale Leben einkehrt.“ Am Stade de France, dem Fußballstadion, vor dem sich am Freitagabend Terroristen beim Spiel Frankreich gegen Deutschland in die Luft sprengten, werden verdächtige Autos kontrolliert.
Am Rathaus, gleich neben der gotischen Kathedrale, hat Bürgermeister Didier Paillard nach den Anschlägen vom Freitagabend eine Erklärung angebracht. Der Angriff der Terroristen habe „Orten der Vielfalt, der Jugend, der sozialen Verschiedenheit, der Toleranz und der Öffnung gegenüber anderen“ gegolten, schreibt das Oberhaupt der mehr als 100 000 Einwohner zählenden Stadt. Der Aufruf hat beklemmende Aktualität: „Heute wie gestern muss der Terrorismus unerbittlich und pausenlos bekämpft werden.“
In Saint-Denis sei die multikulturelle Gesellschaft keine Phrase, sondern lebendige Wirklichkeit im Alltag, sagt Zaïa Boughilas, für die Grünen im Stadtrat aktiv. „Schauen Sie sich diese alte Kirche an“, sagt sie und zeigt auf die Kathedrale. „Diese Stadt ist wunderschön, und sie wird auch in Zukunft der Ort für eine solidarische und geschwisterliche Gemeinschaft bleiben.“
Viele Bewohner stammen ursprünglich aus afrikanischen Ländern, aus Spanien oder der Karibik - in ihrem Zusammenleben spielt es keine Rolle. „Hier kommt die ganze Welt zusammen, und trotz vieler Probleme leben wir gern hier“, sagt Nashlane Karime, der auch unweit des gestürmten Hauses wohnt.
Die aus Algerien stammende Hausfrau Esten Tarwoz sagt, sie habe immer gern in Saint-Denis gelebt, die Leute dort hielten alle zusammen, auch wenn sie ganz verschieden seien. „Wo ist unser ruhiges Leben geblieben? Das ist alles so traurig.“