Ungewissheit und Verstörung: Terror trifft Berliner Schule

Berlin (dpa) - Eine Lehrerin verschränkt ihre Arme, unter ihren geröteten Augen sammeln sich Reste von Wimperntusche. An diesem Freitagvormittag geht hier an der Paula-Fürst-Gemeinschaftsschule, mitten in Berlin-Charlottenburg, die Angst um.

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Und vieles ist unklar. Nach dem Terroranschlag in Nizza werden zwei Schülerinnen und eine Lehrerin der Oberstufe vermisst - sie waren auf Kursfahrt in der südfranzösischen Stadt, in der bei einem Anschlag mindestens 84 Menschen starben.

Schulrätin Ilse Rudnick tritt am Vormittag vor eine Kamera. „28 Schülerinnen und Schüler der Paula-Fürst-Schule sind in Nizza“, sagt sie. „Wir können Ihnen noch keine weiteren Informationen geben.“ Die Schule würde selbst auch noch warten. Zuerst müssten die Eltern informiert werden. Die Ungewissheit sitzt tief. Eine Frau legt Blumen am Stahltor nieder. Mehrere weiße Rosen - und eine einzelne pinke.

Nizza - eine Mittelmeermetropole, die für Freiheit und Lebenslust steht. Und die nun vom Terror heimgesucht wurde. Ein Mann fährt mit einem Lastwagen am Donnerstagabend am französischen Nationalfeiertag in eine feiernde Menge auf der Promenade. Zu dem Zeitpunkt sind auch Schüler aus neun Berliner Schulen in der Stadt. Acht Schulen geben im Lauf des Freitagvormittags Entwarnung. Jedoch nicht die Paula-Fürst-Gemeinschaftsschule.

Eine Frau, die nach eigenen Angaben eine Tochter hat, die mit in Nizza ist, sagt vor dem Schulgebäude im Westen der Hauptstadt: „Die sind alle völlig verstört. Die sind total traumatisiert. Und sie will einfach nur nach Hause.“ Ihre Tochter habe erzählt, bei dem Anschlag sei alles sehr schnell gegangen. Sie hätten sich dann stundenlang im Hotel verstecken müssen. „Jetzt warten sie nur darauf, dass ihre Maschine fliegt.“

Rund 1000 Kinder und Jugendliche lernen an der Paula-Fürst-Schule von der ersten Klasse bis zum Schulabschluss gemeinsam in ihrem jeweiligen Klassenverbund. Dieses System gehört zu einem neueren Berliner Modellversuch. Erst ab der neunten Klasse und dann in der gymnasialen Oberstufe gibt es Noten.

Vor dem roten Backsteingebäude sieht man an dem kalten Juli-Morgen ratlose und besorgte Gesichter. Kameras und Reporter sammeln sich, sie warten auf eine offizielle Nachricht. Irgendwann fährt die Polizei vor, Eltern haben Angst, dass ihre Kinder gefilmt werden.

Offizielle Äußerungen zum Schicksal der Schülerinnen und der Lehrerin gibt es zunächst weder vom Auswärtigen Amt, noch von der Schulverwaltung. Doch es gibt bereits Berichte über den Tod der drei Berliner. Und Berlins Regierender Bürgermeister Michel Müller (SPD) sagt am Brandenburger Tor nahe der Botschaft Frankreichs: „Wir müssen leider auch davon ausgehen, dass Berliner unter den Opfern sind.“

Gemeinsam mit dem französische Botschafter Philippe Etienne steht Müller auf einer Bühne vor dem Tor. Eigentlich sollte Freitagmittag hier ein zweitägiges deutsch-französisches Fest der Botschaft zum Nationalfeiertag eröffnet werden. Der ganze Pariser Platz steht voll weißer Zelte. Das Café Moustache preist auf einem Schild „Cuisine française“ an, die Galeries Lafayette offeriert: „Gute Weine, gute Käse, gute Musik, friendly Zone“. Doch die Zelte bleiben am Freitag geschlossen. Nur Samstag soll etwas gefeiert werden.

Stattdessen spielt ein kleines Blasorchester die französische und deutsche Nationalhymne. Müller und der Botschafter sprechen über die französischen Werte. Das ganze Grauen der Terroranschläge in den vergangenen Jahre fasst der Berliner Regierungschef in einem Satz zusammen: „Wir stehen hier viel zu oft in letzter Zeit.“

Vor der Bühne geht das übliche Leben einer Touristen-Metropole weiter. Touristen versuchen mit Selfie-Stäben sich und das Brandenburger Tor einzufangen. Spanische Stadtführer werben Kunden an, Lehrer geben Schulklassen Anweisungen. Wenige Meter weiter weht die französische Fahne auf dem Dach der Botschaft auf halbmast. Vor den Absperrgittern, die seit den letzten Attentaten die Botschaft abriegeln, liegen Blumensträuße nebeneinander. Es sind lange nicht so viele wie nach den Anschlägen im Januar und November 2015.

„Gottes gutes Geleit“ hat jemand auf einen kleinen weißen Zettel geschrieben. Auf zwei selbstgemalte bunte Bilder mit Aufschriften steht „Peace“ und „Pray for Nizza“. Menschen haben kleine und größere weiße Kerzen auf den Boden gestellt. Der stürmische, kühle Wind in Berlin hat die Flammen sofort gelöscht.