V-Wort belastet deutsch-türkische Beziehungen
Berlin (dpa) - Die Massaker an Armeniern liegen mehr als 100 Jahre zurück, sorgen aber bis heute für Diskussionen. Die Türkei - Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reichs - wehrt sich vehement dagegen, die Ereignisse von damals „Völkermord“ zu nennen.
Deshalb sorgte auch die Armenien-Resolution des Bundestags von Anfang Juni für gewaltigen Ärger. Juristisch ist die Bundesregierung daran nicht gebunden.
Im Osmanischen Reich lebten zu Beginn des Ersten Weltkriegs zwischen 2 und 2,5 Millionen Armenier. Im Kampf gegen das christliche Russland warf die osmanische Regierung den Armeniern vor, mit dem Feind zu paktieren. Mit der Festnahme von mehreren hundert Intellektuellen begann im April 1915 eine systematische Verfolgung und Vernichtung. Nach Schätzungen wurden bis zu 1,5 Millionen Menschen getötet. Die Türkei geht allerdings von deutlich weniger Toten aus.
Im Juni einigte sich der Bundestag nach langer Debatte auf eine Erklärung. Wie viele andere Parlamente stuft er die Tragödie nun als „Völkermord“ ein. Es gab nur eine Gegenstimme und eine Enthaltung. In der Resolution heißt es, das Schicksal der Armenier stehe „beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist“.
Eigentlich ja, aber die Auslegung ist flexibel. Im offiziellen Lexikon des Bundestags heißt es: „In Entschließungen wird die Auffassung des Bundestages zu politischen Fragen zum Ausdruck gebracht und/oder die Bundesregierung zu einem bestimmten Verhalten aufgefordert. Entschließungen sind rechtlich nicht verbindlich, sondern von politischer Bedeutung.“ Einem „Spiegel“-Bericht, wonach die Bundesregierung auf Distanz zur Resolution geht, widersprach Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag aber vehement.
Man nimmt Rücksicht. Die Kanzlerin blieb der Verabschiedung der Resolution lieber fern. Beim Probelauf in der CDU/CSU-Fraktion hatte Merkel aber dafür gestimmt. Inhaltlich hatte sie keine Probleme damit, fand jedoch den Zeitpunkt ungünstig. Vizekanzler Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (beide SPD) waren im Bundestag ebenfalls nicht dabei. Steinmeier sprach inzwischen - bei einem Besuch in Armenien - aber auch von „Völkermord“. Am Freitag sagte sein Sprecher: „Herr Steinmeier stand, er steht und er wird zu der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages stehen“
Die Türkei fühlt sich ungerecht behandelt. Sie bestreitet nicht, dass den Armeniern großes Leid zugefügt wurde. Aus ihrer Sicht fehlen aber historische Beweise, um die Gräueltaten nach internationalem Recht als Völkermord einzustufen. Vor allem sieht sie keinen Beleg dafür, dass die Armenier gezielt vernichtet werden sollten. Ihr Vorschlag: Untersuchung durch eine internationale Historikerkommission. Dazu will sie auch ihre Archive öffnen.
Die Armenien-Resolution ist nur eine der vielen Baustellen - und gewiss nicht die größte. Dass die Türkei seit Juni keine deutschen Abgeordneten zu den in Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten lässt, ist eher Symptom der schwierigen Beziehungen. Groß ist der Zorn, dass seit dem Putschversuch im Juli weder Merkel noch einer ihrer Minister zu einem Solidaritätsbesuch vorbeikam. Im Hintergrund geht es auch um das Flüchtlingsabkommen mit der EU, die eigentlich vereinbarte Visafreiheit und die EU-Beitrittsverhandlungen.
Schwierig. Die Türkei hatte gleich nach der Resolution ihren Botschafter aus Berlin nach Hause geholt. Einen Nachfolger gibt es noch nicht. Der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, hat Probleme, Termine zu bekommen. Mittlerweile ist eine Steinmeier-Reise angekündigt. Einen Termin dafür gibt es aber noch nicht. Zumindest soll es nun beim G20-Gipfel in China ein Treffen zwischen Merkel und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geben.