Fragen und Antworten Verbindung zwischen Fall Peggy und NSU-Mörder?
Bayreuth/München (dpa) - Bundesinnenminister Thomas de Maizière drückt in einem Satz aus, was seit Donnerstagabend die Republik bewegt und selbst langgediente Ermittler den Kopf schütteln lässt.
„Dass jetzt der Verdacht besteht, dass einer der NSU-Terroristen auch noch der Mörder der kleinen Peggy sein könnte, ist unfassbar“, sagt der CDU-Politiker am Freitag. Und auch der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, sagt: „Der Fall NSU zeigt, dass nichts unmöglich ist.“ Einige zentrale Fragen und Antworten:
Waren bisher Verbindungen Uwe Böhnhardts oder aus dem NSU-Umfeld zum Fall Peggy bekannt?
Nein. Im gesamten Komplex Peggy ist niemals der Name eines Mitglieds des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ oder eines mutmaßlichen Unterstützers aufgetaucht.
Wie kam es jetzt zu der Verknüpfung der beiden Fälle?
15 Jahre nach dem Verschwinden der neunjährigen Peggy aus Lichtenberg in Oberfranken entdeckte ein Pilzsammler im Juli Teile ihres Skeletts in einem Waldstück in Thüringen - nur rund 15 Kilometer vom früheren Heimatort des Mädchens entfernt. Seither wurden die Knochen und zahlreiche weitere Spuren genau untersucht. Am Donnerstagabend dann die spektakuläre Nachricht: Die Polizei und die Staatsanwaltschaft Bayreuth teilen mit, auf einem „Spurenträger“ sei DNA festgestellt worden, „die Uwe Böhnhardt zuzuordnen ist“. Dies ist die erste und bisher einzige Verbindung zwischen den beiden Fällen.
Wo und wann wurde die DNA-Spur gefunden und untersucht?
Der Fund sei im „direkten Zusammenhang“ mit der Entdeckung der Skelettteile erfolgt, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Herbert Potzel am Freitag. Nach „Spiegel“-Informationen handelt es sich dabei um ein Stück Stoffdecke, laut Bayerischem Rundfunk um ein Stück Stoff von der Größe eines Fingernagels. Untersucht wurde die DNA-Spur nach dpa-Informationen jetzt beim Landeskriminalamt in München - also nicht wie die Skelettteile Peggys in der Rechtsmedizin in Jena.
Kann auch eine Verunreinigung der DNA-Probe zu dem Treffer geführt haben?
Das ist die ganz große Frage, die vor allen anderen beantwortet werden muss. Der Bayreuther Oberstaatsanwalt Herbert Potzel schließt das nicht aus. „Es gibt mehrere Möglichkeiten der Verunreinigung“, sagt er, ohne weitere Details zu nennen. Die Rechtsmedizin der Uni Jena, wo im November 2011 Böhnhardts Leichnam obduziert wurde und im Juli Peggys Knochen untersucht wurden, legt sich fest: Sie schließt eine zufällige Übertragung von DNA am eigenen Institut aus. Die Spurensicherung am Fundort der toten Peggy und die Untersuchung der dort gefundenen Spuren seien nicht von der Jenaer Rechtsmedizin durchgeführt worden. „Insofern ist eine etwaige zufällige Übertragung von DNA zwischen beiden Fällen durch das Institut ausgeschlossen“, heißt es. Auch BKA-Präsident Holger Münch sieht nach eigenen Angaben aktuell keine Hinweise auf eine Verunreinigung oder Verwechslung.
Was bedeutet die DNA-Spur? Könnte Böhnhardt Peggys Mörder sein?
Alles völlig offen. In der Pressemitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft heißt es: „In welchem Zusammenhang diese DNA-Spur gesetzt wurde, wo sie entstanden ist und ob sie in Verbindung mit dem Tod von Peggy K. steht, bedarf weiterer umfassender Ermittlungen in alle Richtungen, die derzeit geführt werden und ganz am Anfang stehen.“ Offen bleibt, ob Böhnhardt Peggys Mörder gewesen sein könnte oder ob er „nur“ Kontakt zum - bis heute unbekannten - Täter hatte?
Was sind die nächsten Ermittlungsschritte?
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betont, man gehe mit Hochdruck allen denkbaren Hinweisen nach. Erstes Ziel der Ermittler ist es derzeit, eine Verunreinigung der DNA-Probe und damit „Missverständnisse“ (Herrmann) auszuschließen. Sollte das gelingen und der spektakuläre Zusammenhang der beiden Komplexe NSU und Peggy bestätigt werden, tun sich unzählige weitere Fragen auf. Eine beantwortet das BKA bereits am Freitag: An Kindersachen aus dem letzten gemieteten Wohnmobil der mutmaßlichen NSU-Terroristen, die in der Asservatenkammer des Bundeskriminalamtes lagern, darunter unter anderem eine Sandale, wurde demnach keine DNA-Spur Peggys entdeckt.
Welche Fragen und Spekulationen stehen im Raum?
Allen voran steht die Frage nach Peggys mutmaßlichem Mörder. Parallel gibt es aber weitere dicke Fragezeichen: Gab es doch Kontakte der Rechtsextremisten nach Oberfranken? Oder waren sie dort vielleicht auf der Durchreise? Einen Monat nach dem Verschwinden Peggys sollen die mutmaßlichen NSU-Terroristen Böhnhardt und Uwe Mundlos den zweiten NSU-Mord in Nürnberg verübt haben - gewohnt haben sollen sie damals in Zwickau. Was ist mit einem Wohnmobil, das laut „Bild“-Zeitung damals auf einem Lichtenberger Campingplatz gesehen wurde, dessen Herkunft aber nie ermittelt wurde? Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Clemens Binninger (CDU), fordert eine neue Untersuchung bislang anonymer DNA-Spuren an NSU-Tatorten. Zudem überprüfen die zuständigen Staatsanwaltschaften mindestens einen Kindsmord neu: den des toten Jungen in Jena. „Da war Herr Böhnhardt und sein Name schon einmal im Visier und das müssen wir alles viel, viel gründlicher betrachten“, sagt Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke).
Welche Auswirkungen haben die Entwicklungen auf den NSU-Prozess?
Möglicherweise keine allzu gravierenden. Im Prozess geht es nur um die angeklagten Taten, im Wesentlichen also um die rassistisch motivierte Serie von neun Morden, dazu den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter und 15 Banküberfälle. Eine Konsequenz könnte es aber für die Hauptangeklagte Beate Zschäpe geben. Ein Opferanwalt will erneut thematisieren, dass auf einer Computerfestplatte des NSU-Trios Dateien mit Kinderpornografie gefunden wurden. Mit einem Beweisantrag will er klären lassen, was Zschäpe davon wusste. Auch andere Nebenklage-Anwälte haben bereits Beweisanträge angekündigt. Diese werde das Gericht dann prüfen und darüber entscheiden müssen, sagt Sprecherin Andrea Titz. Zunächst einmal gehe der Prozess „ganz normal“ weiter, und zwar am 25. Oktober. Ob das seit Mai 2013 laufende Verfahren durch die neuen Entwicklungen am Ende noch einmal weiter in die Länge gezogen werden könnte, ist völlig unklar.