Verhärtete Fronten bei Gipfel - Merkel für weitere Einschnitte
Brüssel (dpa) - Deutschland und Großbritannien dringen beim EU-Gipfel auf weitere Einschnitte bei den Brüsseler Finanzen. Damit fordern sie ärmere Länder im Osten und Süden des Kontinents heraus.
Diplomaten berichteten am Donnerstag in Brüssel, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe bei Vorgesprächen zu dem Sondertreffen darauf beharrt, den Vorschlag von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy um etwa 30 Milliarden Euro zu kürzen. Demnach wiederholte auch der britische Premier David Cameron mit Nachdruck seine weitreichenden Sparforderungen - und minderte damit die Chancen auf einen Gipfel-Kompromiss erheblich.
Beim Gipfel zum Haushaltsplan der EU für die Jahre von 2014 bis 2020 geht es um Ausgaben von etwa einer Billion Euro. Da die Positionen der Mitgliedstaaten auch nach langen Vorgesprächen in kleiner Runde weit auseinanderlagen, war ein Scheitern durchaus möglich. Einen neuen Einigungsversuch könnte es im Frühjahr kommenden Jahres geben, hieß es aus den Delegationen.
Merkel traf sich vor Gipfel-Beginn mit mehreren Partnern, unter anderem Cameron, dem französischen Staatspräsidenten François Hollande und dem italienischen Regierungschef Mario Monti. Merkel sagte schon vor den Zweiertreffen, ein Kompromiss könne sich so lange hinziehen, dass ein zweiter Anlauf notwendig werden könnte: „Es kann auch sein, dass wir noch eine weitere Etappe brauchen.“
Cameron macht unter anderem bei der EU-Verwaltung Druck, deren Ausgaben ihm seit langem ein Dorn im Auge sind. Der Herr von Downing Street Nummer 10 forderte allein bei diesem Budgetposten Einsparungen um sechs Milliarden Euro, berichtete die britische Agentur PA unter Berufung auf Diplomaten. Nach dem Kompromissvorschlag von Gipfelchef Herman Van Rompuy sollen die Verwaltungsausgaben 62,6 Milliarden Euro über den Sieben-Jahres-Zeitraum betragen. Insgesamt hat sein Vorschlag einen Umfang von 1,01 Billionen Euro.
Hollande betonte die Zusammenarbeit mit Merkel bei dem zweitägigen Spitzentreffen: „Ich bin sicher, dass wir zusammen mit Deutschland Motor sein werden, um einen Kompromiss zu finden.“
Der Sozialist wehrte Kürzungen bei den Agrarsubventionen ab - sein Land erhält knapp 10 Milliarden Euro pro Jahr aus Brüssel für seine Bauern. Frankreich ist damit Hauptprofiteur der EU-Agrarpolitik. Merkel sei nach ihrem mehr als einstündigen Treffen mit Hollande „sensibilisiert“ für dessen Anliegen, berichteten Diplomaten. Sie sprachen von einer Annäherung der beiden größten Volkswirtschaften in Europa. Paris habe auch Verständnis für die Kürzungsanliegen der Kanzlerin.
Van Rompuys Vorschlag liegt um 80 Milliarden Euro niedriger als das Angebot der EU-Kommission, die rund 1,1 Billionen vorgeschlagen hatte. Mehrere Staaten, darunter Italien, drohen offen mit einer Blockade. „Wir werden keine Lösungen hinnehmen, die nicht akzeptabel sind“, sagte Monti. Er forderte mehr Geld für die Landwirtschaft und die Förderung ärmerer Regionen.
Nach einem Kompromiss muss das EU-Parlament noch zustimmen. Es forderte vergleichsweise hohe EU-Ausgaben, um das Funktionieren der Gemeinschaft mit bald 28 Mitgliedstaaten abzusichern. Kroatien soll im kommenden Jahr der Gemeinschaft beitreten und sitzt bereits beim Gipfel mit am Tisch - aber nicht stimmberechtigt.
Der Brite Cameron vertritt bei den Verhandlungen eine Extremposition, da er neben den Kürzungen auch den britischen Beitragsrabatt von 3,6 Milliarden Euro jährlich sichern will. „Es wurde klar, dass es ein langer Weg ist, der noch zu gehen ist, bevor ein Ergebnis erreicht ist (...)“, sagte ein Sprecher von Downing Street nach der Begegnung von Cameron und Van Rompuy.
Nach den Worten Merkels geht es bei dem mehrjährigen Finanzplan um die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union und eine bessere Verwendung der Mittel. „Jeder Euro muss wirklich auch seine Wirkung entfalten.“ Deutschland werde sich konstruktiv einbringen, aber auch eigene Interessen vertreten, betonte die Kanzlerin. In Zeiten der Haushaltskonsolidierung in ganz Europa müsse auch hier darauf geachtet werden, dass die Ausgaben nicht zu hoch seien. Jeder werde ein Stück weit kompromissfähig sein müssen. Deutschland zahlt pro Jahr etwa neun Milliarden Euro mehr nach Brüssel ein als aus der EU-Kasse in das Land zurückfließt. Berlin ist damit größter Nettozahler in der EU-Hauptstadt.