Verzweiflung wegen Ebola: Im Dorf von „Patient Null“
Meliandou (dpa) - Etienne Ouamouno sitzt vor seiner Hütte und schaut einen Stapel Fotos durch. Eines zeigt den 31-Jährigen mit seiner Frau, lächelnd und ein Baby im Arm haltend. Seine Hand zittert bei der Erinnerung.
Von den Menschen im Bild ist nur noch er am Leben.
Gerade ein Jahr alt, wurde sein Sohn Emile zu „Patient Null“, dem ersten Opfer des schlimmsten bekannten Ebola-Ausbruchs der Geschichte. Seitdem sind Tausende Menschen in Westafrika an dem Virus gestorben.
Sein Dorf Meliandou liegt inmitten saftiger Felder und Tropenbäume am Ende einer schlammigen Straße im Regenwald Guineas. In dieser abgelegenen Siedlung von Rundhütten und einfachen Steingebäuden hatte zuvor niemand von einer Krankheit namens Ebola gehört. Das arme, aber friedliche Leben in Meliandou, in dem die Mehrheit der 500 Bewohner vom Anbau von Reis, Maniok, Mais und Bananen lebt, änderte sich unwiderruflich im Dezember. Das Dorf markiert den Beginn der Ebola-Epidemie, die sich im dramatischen Tempo ausbreitete.
Emile war das erste Opfer. Er starb am 28. Dezember. Eine Woche später folgte seine vierjährige Schwester Philomene. Dann seine Großmutter, Tante und, Ende Januar, seine Mutter Sia, die im vierten Monat schwanger war. Ouamouno verlor sechs Familienmitglieder in weniger als einem Monat an eine Krankheit, von der er glaubte, sie sei das Ergebnis von Hexerei. „Ich dachte, mein Dorf ist gegen mich. Ich dachte, meine ganze Familie wird sterben. Ich verlor jede Hoffnung“, sagt er, umringt von seinen drei überlebenden Kindern.
Doch Ebola verbreitete sich schnell im ganzen Dorf. Eine Beerdigung folgte der nächsten. Die Leichen wurden gewaschen, aufgebahrt und mit Gebeten versehen, so wie es in Guinea Tradition ist. Im April waren 21 neue Gräber ausgehoben.
Von Panik erfasst verließen viele Bewohner das Dorf, darunter auch örtliche medizinische Helfer. Sie wussten wenig darüber, wie sie sich schützen könnten, und trugen dazu bei, dass sich das Virus in der Region verbreitete. Unter denen, die flüchteten, war auch Ouamounos Vater Fassinet. Der 47-Jährige nahm seine Kinder und Enkel und reiste mehr als 400 Kilometer in überfüllten Minibus-Taxis in die Stadt Siguiri, wo sie für acht Monate blieben.
Kürzlich ist Fassinet nach Meliandou zurückgekehrt. Auch ihn hat das Glück verlassen. „Es gibt immer noch ein so großes Stigma. Sobald die Leute hören, dass wir aus Meliandou kommen, haben sie Angst oder rennen davon. Sie glauben, dass wir verseucht sind.“
Das Wissen über Ebola verbreitete sich langsam. Die Behörden alarmierten erst am 10. März das Gesundheitsministerium über eine rätselhafte Krankheit mit hoher Todesrate. Am 19. März bestätigte die Regierung den Ausbruch von Ebola. Epidemiologische Ermittlungen zeichneten später nach, wie sich das Virus von Meliandou in die nächstgelegene Stadt Guéckédou ausgebreitet hatte und von dort in andere Landesteile, berichtete das „New England Journal of Medicine“.
Bis zum 22. Oktober hat die Weltgesundheitsorganisation 1540 Fälle in Guinea erfasst. Davon starben 904 Menschen. Allerdings könne die Zahl der nicht gemeldeten Fälle bis zu zehnmal höher sein, heißt es aus Kreisen der Vereinten Nationen in der Hauptstadt Conakry.
Sobald Ebola bestätigt war, traten Helfer die Zweitagesfahrt von Conakry nach Meliandou an, um die Einwohner zu informieren und ihnen beizubringen, wie sie einer Ansteckung vorbeugen können. Wie im Rausch begannen die Einwohner, alles zu verbrennen, was sich in den Häusern der Toten befunden hatte: Matratzen und Decken, Kleider, Handtücher, manchmal sogar die Ausrüstung für die Feldarbeit.
„Die Leute waren verrückt vor Angst. Sie verbrannten die wenigen Habseligkeiten, die sie hatten“, sagt der Dorf-Vorsteher Amadou Kamano und weist auf die Aschehaufen hinter den Hütten. Mit den richtigen Informationen versorgt, gelang es den Bewohnern, die Epidemie in der Siedlung binnen Wochen einzudämmen. Aber zu der Zeit „hatte Ebola bereits unser Dorf verwüstet“, sagt Kamano.
Hinde Leno verlor acht Angehörige. Als erstes starb seine Frau. Ihre Aufgabe war es gewesen, die Leichen für die Beerdigungen zu waschen und aufzubahren. „Unsere Leben haben sich verändert. Wir leben in Trauer“, erzählt der siebenfache Vater. „Meine Kinder sind ängstlich und verschlossen. Sie schlafen schlecht, haben Alpträume.“
Trotz Aufklärungskampagnen werden die Bewohner weiter stigmatisiert. Taxifahrer weigern sich, Passagiere aus Meliandou mitzunehmen. Niemand will Produkte von den Bauern der Gegend haben. Dadurch fehlen ihnen die Mittel, um notwendige Dinge einzukaufen - Öl zum Kochen etwa, Zucker oder - noch wichtiger - Seife.
Auch Ouamouno hat derzeit wenig zu tun. Mehrere Stunden am Tag lauscht er dem roten Transistorradio, das ihn an seinen Sohn erinnert. „Immer wenn ein Lied gespielt wurde, tanzte Emile“, sagt er. „Es gab damals so viel zu lachen.“