Was der Super-Wahlsonntag für die deutsche Politik bedeutet
Berlin (dpa) - Rechtsruck durch die AfD, eine schwankende Volkspartei SPD, unterschiedliche Botschaften in der Flüchtlingspolitik: Das sind die zentralen Signale des Super-Wahlabends.
Die Grünen erhoffen sich nach dem Sieg ihres baden-württembergischen Landesvaters Winfried Kretschmann schon Rückenwind für ein Mitregieren im Bund 2017. Die Rechtspopulisten sehen sich auf der Siegerstraße.
BUNDESREGIERUNG UNTER DRUCK - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel dürften sich vor allem Gedanken machen, wie sie einen Einzug der AfD in den Bundestag noch verhindern können. Gabriel empfiehlt dem Koalitionspartner süffisant, CDU und CSU sollten ihren Streit über die Flüchtlingspolitik einstellen. Dass dies tatsächlich geschieht, dürfte schon CSU-Chef Horst Seehofer verhindern. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer drohte am Abend in Richtung Merkel: „Wir brauchen endlich wirksame Lösungen in der Flüchtlingskrise.“
Die Kanzlerin kann sich immerhin in ihrem Kurs der Mitte und bei ihrer Flüchtlingspolitik bestätigt sehen. Die Ergebnisse vom Sonntag seien nur auf den ersten Blick ein Plebiszit gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung, schreibt die Forschungsgruppe Wahlen. Merkel hatte ohnehin nicht vor, ihre Absage an eine Flüchtlingsobergrenze zu revidieren oder ihren Kurs einer europäischen Lösung gemeinsam mit der Türkei zu ändern.
VERLUST AN BINDEKRAFT - Minus 12 Punkte für die CDU im Stamm-„Ländle“, jeweils 10 Punkte Verlust für die SPD in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt - die Koalitionäre müssen sich Gedanken machen, wie sie ihre Stammwähler noch mobilisieren können. Mit einem kleinen Plus kamen nur die Sozialdemokraten in Rheinland-Pfalz glimpflich davon, wo SPD und CDU zusammen immer noch rund 70 Prozent erreichen. Aber dass die Gabriel-Partei nun auch in einem westlichen Bundesland marginalisiert wird, lässt eineinhalb Jahre vor der Bundestagswahl bei der SPD alle Alarmglocken schrillen.
KOALITIONEN BALD NUR NOCH ZU DRITT? - Je mehr Parteien in die Parlamente kommen, desto schwieriger werden Zweier-Koalitionen. Unmöglich werden sie aber nicht, das zeigen die Ergebnisse von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz: dort wären Zweierbündnisse möglich, auch wenn sie politisch erstmal nicht so gewollt sind. In Stuttgart könnten die starken Grünen mit dem Wahlverlierer CDU regieren, in Mainz die SPD mit der unterlegenen CDU. Merkel und Gabriel müssen eine Gewissheit ad acta legen: dass eine Koalition von CDU und SPD fast immer funktioniert.
WAHLKAMPF GEGEN BERLIN EIN FLOP - Zwei CDU-Spitzenkandidaten mussten unterschiedliche Blinksignale beim Mega-Thema Flüchtlingspolitik teuer bezahlen. Die als Abrücken vom Merkel-Kurs gewerteten Vorstöße Julia Klöckners halfen laut Forschungsgruppe weder ihr noch Mitunterzeichner Guido Wolf: „Wer in den Volksparteien zu sehr nach den Rändern schielt, (...) verliert die breite Mitte und kann keine Wahl gewinnen.“ In Sachsen-Anhalt, wo gut die Hälfte der Befragten den Flüchtlingsandrang für nicht verkraftbar hält, konnte CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff mit - oft indirekter - Merkel-Kritik besser punkten.
RECHTS HAT VIEL (STÖR-)POTENZIAL - Die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) dürfte für die etablierten Parteien in den nächsten Jahren der größte Quälgeist bleiben. „Wir befinden uns auf der Siegerstraße“, jubelt Parteichefin Frauke Petry. Vor dem Super-Wahlsonntag gelang es der Partei weitgehend erfolgreich, manche Risse zu übertünchen. Ob die CDU den Kurs des Ignorierens durchhalten kann, ist offen. Bislang glauben sie in Merkels Umgebung, je stärker die Flüchtlingskrise bewältigt werde, desto mehr AfD-Wähler würden zu den etablierten Parteien zurückkehren. Gabriel betont, die SPD werde die bedrohte demokratische Mitte nicht kampflos preisgeben: Dem AfD-Aufstieg will er im Bundestagswahlkampf ein Milliarden-Programm für sozial schwache Einheimische entgegensetzen.
LANDESPOLITIK OHNE CHANCE - In den wirtschaftlich vergleichsweise gut aufgestellten Südwest-Ländern ging es um Innere Sicherheit und Bildung. In Sachsen-Anhalt spielten schwächelnde Wirtschaft und hohe Arbeitslosigkeit, die Personalausstattung der Polizei oder die Kosten der Kinderbetreuung eine Rolle im Wahlkampf. Oder besser: Diese klassischen Landesthemen sollten nach dem Wunsch der etablierten Parteien eine Rolle spielen. Überlagert wurde jedoch alles von der Bundes- oder Europapolitik, wie Haseloff am Wahlabend frustriert einräumte. Die Auswirkungen der Flüchtlingskrise betrafen die Menschen in Ländern und Kommunen viel unmittelbarer als andere Politikthemen. Profitieren konnte vor allem die AfD.
POPULARITÄT REISST ES RAUS - Der Grüne Kretschmann in Baden-Württemberg, die Sozialdemokratin Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz - beide konnten den Lohn für persönliche Popularität einfahren. So schaffte der Schwabe beim Image „einen seltenen Ausnahmewert“, analysiert die Forschungsgruppe. Für 85 Prozent machte er fünf Jahre lang einen guten Job. Und Dreyer erfuhr „in bester Tradition rheinland-pfälzischer Ministerpräsidenten lagerübergreifend viel Wertschätzung“. Haseloff profitierte in Magdeburg immerhin von seinem Amtsbonus aus fünf als solide empfundenen Regierungsjahren.
LIBERALE LEBEN, LINKE LEIDEN - Die schon im Vorjahr - aber nur in zwei Stadtstaaten - wieder auf der politischen Bühne aufgetauchte FDP wird offenkundig in die Parlamente (zurück)gewünscht. In Stuttgart verbesserte sich die 2013 aus dem Bundestag geflogene Partei deutlich, in Mainz ist sie wieder im Landtag, auch in Magdeburg gab es nach zuvor nur 3,8 Prozent ein Plus. Dagegen ist die Linkspartei in West-Ländern derzeit ohne Chance, und in Magdeburg wird es angesichts eines Riesenverlusts wieder nichts mit der erhofften Regierungsbeteiligung. Dass man dort noch hinter der AfD auf Platz 3 zurückfiel, macht das Linke-Desaster perfekt.