Was nun, Frau Merkel? Was nun Herr Seehofer?
München/Berlin (dpa) - Was sie wohl besprochen haben, Angela Merkel und Horst Seehofer? Zwei Stunden saßen die Kanzlerin und der CSU-Chef am Sonntag im Kanzleramt zusammen, bevor der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel dazustieß.
Ist eine Einigung im Flüchtlingsstreit möglich? Und wenn ja, wie könnte diese aussehen? Fragen und Antworten zum Dauerstreit in der Union:
Was ist der zentrale Knackpunkt?
Bei eigentlich allen Themen, so sagte es Seehofer zum Abschluss der CSU-Vorstandsklausur am Wochenende, könnten sich CDU und CSU wohl einigen. Nur bei einem Punkt, da wolle er keine Garantie geben: bei der Flüchtlingspolitik. Und da wiederum kumuliert der seit einem Jahr andauernde Streit in einem Punkt: Die CSU fordert eine gesetzliche Obergrenze von maximal 200 000 Flüchtlingen pro Jahr - was die Bundeskanzlerin entschieden ablehnt.
Wie sind die Einigungschancen?
Schwer zu sagen. Nach dem Treffen Merkel/Seehofer am Sonntag hieß es, immerhin hätten beide Seiten zu erkennen gegeben, dass sie bereit seien, die verfahrene Situation aufzulösen. Seehofer betonte schon auf der CSU-Klausur mehrfach, dass man eine Einigung wolle - aber eben nicht im jeden Preis. „Sie wissen, dass das für uns ein ganz wichtiger Punkt ist, auch für die eigene Glaubwürdigkeit“, betonte er. Auf der anderen Seite hat sich Merkel stets genauso vehement gegen eine Obergrenze gewandt. Die Flüchtlingspolitik und der Satz „Wir schaffen das“ sind inzwischen das prägende Thema ihrer Kanzlerschaft. Ein Einlenken ist da ebenfalls kaum zu erwarten.
Warum ist Seehofer so stur?
Seehofer und die CSU machen Merkels Flüchtlingspolitik für die CDU-Wahlniederlagen der vergangenen Monate verantwortlich, zuletzt für das Debakel in Mecklenburg-Vorpommern. Und sie fürchten, dass es bei der Bundestagswahl 2017 für die Union ebenfalls bergab gehen könnte. Aber das wäre ein schlechtes Vorzeichen für die bayerische Landtagswahl ein Jahr später - die für Seehofer und die CSU entscheidende Wahl. Denn für die CSU geht es dort um die Verteidigung der Alleinherrschaft. Und für Seehofer um sein politisches Erbe.
Was treibt Merkel an?
Die Kanzlerin glaubt wie viele in der Union an den ehernen Satz, dass Wähler und Anhänger von CDU und CSU eines gar nicht mögen: Streit der Parteiführungen. Deswegen setzt sie auf eine Annäherung zu Seehofer - auch wenn sie bei dessen Lieblingsthema Obergrenze hart bleiben wird. Merkel weiß, dass durch ihre Flüchtlingspolitik bei den Wählern viel Vertrauen verloren gegangen ist - auch in eine Kernkompetenz der Union, der die Wähler eigentlich zutrauen, Sicherheit und ein Funktionieren des Staates zu garantieren. Dieses Vertrauen will sie zurückgewinnen.
Können sich Merkel und Seehofer wieder versöhnen?
Der Streit hat die reine Sachebene längst verlassen. Es gibt Enttäuschungen auf beiden Seiten. In der CDU halten viele Seehofer für unberechenbar. Auch an Merkel dürften die außergewöhnlich scharfen Attacken des Bayern nicht spurlos vorbeigegangen sein - obwohl sie sich öffentlich nichts anmerken lässt. Für die Machtpolitikerin wird aber genauso gelten, dass sie persönliche Animositäten für den Erfolg der Union bei der Bundestagswahl zurückstellen würde. Doch genauso dürfte der CSU-Chef wissen: Vergessen wird Merkel nicht, wie demütigend er zum Teil mit ihr umgegangen ist.
Wie könnte ein Ausweg aus dem Streit aussehen?
Die allermeisten Unionspolitiker, mit denen man dieser Tage spricht, sind sich einig: Es wird irgendeine Lösung geben - geben müssen. Sechs Themenkonferenzen haben CDU und CSU in den kommenden Wochen angesetzt, um ihre „inhaltlichen Koordinaten“ zu klären. Im November steht dann der CSU- und Anfang Dezember der CDU-Parteitag an. Spätestens bis dahin muss im Flüchtlingsstreit eine Einigung her. Sonst würden die Parteitage zum Fiasko, und das nicht einmal ein Jahr vor der Bundestagswahl. Die Folgen wären wohl verheerend - für beide Schwesterparteien. Also dürfte es irgendeinen Formelkompromiss geben, eine Formulierung, mit der beide wenigstens halbwegs leben können.
Aber würde das reichen, um die Stimmung für die Union zu drehen?
Das kommt wohl auf die Art des Kompromisses an, auf dessen genaue Ausformulierung. Und darauf, ob man sich auf eine wie auch immer geartete Begrenzung der Flüchtlingszahlen einigt oder nicht.
Welche Spekulationen gibt es über Seehofer und die CSU?
Vor allem in der CSU gibt es inzwischen Gedankenspiele, Seehofer als Spitzenkandidaten in die Bundestagswahl zu schicken - um zusammen mit Merkel das maximale Wählerpotenzial für die Union auszuschöpfen. Oder den bayerischen Finanzminister Markus Söder (der das aber bereits ausgeschlossen hat) oder Innenminister Joachim Herrmann. Jedenfalls jemanden, der in der Flüchtlingspolitik ein Gegengewicht zur Kanzlerin bilden kann. Entschieden werden soll diese Personalfrage aber erst im ersten Quartal des kommenden Jahres.