Wer bekommt Gaddafis eingefrorenes Geld?
Tripolis (dpa) - Die Markthalle in der Raschid-Straße im Zentrum von Tripolis ist schon seit Wochen geschlossen. In den dahinterliegenden Seitengassen haben ein paar Händler ihre Stände aufgestellt.
Zu erhalten sind Brot, Kartoffeln, Zwiebel, Tomaten, Weintrauben und Bananen.
Die Preise sind bereits in den letzten Wochen der Gaddafi-Herrschaft in die Höhe geschnellt. Ein dünner Brotfladen kostet nun 75 Dirham (4 Euro-Cent), fast doppelte so viel wie zuvor. „Wir haben keine Wahl, wenn wir essen wollen“, klagt ein Käufer mittleren Alters mit Zorn in der Stimme.
Dabei hat Libyen viel Geld. Weltweit wurde ein Vermögen von rund 120 Milliarden Euro als Besitz des Gaddafi-Clans und des libyschen Staates identifiziert, davon 7,3 Milliarden Euro in Deutschland. Rund zehn Milliarden Euro wurden inzwischen freigegeben, wie der französische Präsident Nicolas Sarkozy nach der Libyenkonferenz in Paris bekanntgab. Flugzeuge der britischen Luftwaffe hatten in der Nacht zuvor in Großbritannien deponierte libysche Banknoten im Wert von umgerechnet 163 Millionen Euro in die ostlibysche Metropole Bengasi geflogen.
Zu tun gäbe es mit dem Geld genug. Zehntausende Staatsbedienstete haben in Tripolis und anderen Gebieten, die sich zuletzt von der Gaddafi-Herrschaft befreiten, seit Monaten keine Gehälter bekommen. In den Krankenhäusern mangelt es an Medikamenten. In Tripolis hapert es mit der Wasserversorgung. Auch die Entwaffnung von Tausenden Aufständischen muss angepackt werden. In anderen zur Ruhe gekommenen Konfliktgebieten hatte man das häufig durch finanzielle Anreize für das Abgeben der Waffen bewerkstelligt.
Doch an wen geht das Geld zuerst? Der Ansprechpartner der internationalen Gemeinschaft ist der Nationale Übergangsrat unter Mustafa Abdul Dschalil. Das Gremium hat seinen Sitz in Bengasi, wo es sich nach dem Ausbruch der Revolte gegen den Diktator Muammar al-Gaddafi in diesem Februar eingerichtet hat. Nur einige wenige Übergangsminister haben sich bislang in Tripolis blicken lassen. Die Erwartungen richten sich nun darauf, dass sich die neue Führung in der Hauptstadt niederlässt.
Dort waren am Freitag erste Anzeichen des Wirkens einer städtischen Verwaltung zu bemerken. Putztrupps der Kommune, bestehend vor allem aus afrikanischen Gastarbeitern, säuberten den Märtyrer-Platz (vormals Grüner Platz) für das Freitagsgebet. In der nahen Omar-Muchtar-Straße stellte der Klempner Lotfi Amal seinen Haushaltsmüll auf den Rand des Bürgersteigs. „Einmal am Tag kommen sie inzwischen vorbei und bringen ihn weg“, sagte er. „Das Wasser sollte auch in diesen Tagen wieder kommen.“
Wie sehr der bevorstehende Geldregen zum ungetrübten Segen wird, ist noch offen. „Das Geld muss sehr weise ausgegeben werden“, meint Robert Malley, der Nahost-Direktor des Think-Tanks International Crisis Group (ICG). „Es muss sowohl für sofortige Verbesserungen aufgewendet werden wie auch für langfristige Vorhaben, in einer Weise, dass die Libyer wissen, wohin es geht und dass es ihnen zugute kommt.“
Das ist nicht unbedingt selbstverständlich. Denn Gaddafis Staat gründete sich nicht auf transparente Institutionen, sondern auf die inzwischen zerfallenen despotischen Geheimdienststrukturen und obskure „Volkskomitees“. Der Abgang des Regimes hat ein mächtiges Vakuum hinterlassen. Das neue Libyen muss sich somit von Grund auf neu erfinden.