Treffen in Ankara Wie immer kritisch: Merkels Besuch in der Türkei

Istanbul/Berlin (dpa) - Die Liste der Probleme ist lang. Sehr lang. Der EU-Türkei-Flüchtlingspakt gilt als fragil, die Entwicklung der Türkei unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan als kritisch, die Beziehung zu Deutschland als angespannt.

Und und und.

Eigentlich gibt es keinen politisch günstigen Zeitpunkt für einen Besuch der Kanzlerin in Ankara. Am Donnerstag reist Angela Merkel aber dorthin - auf dem Weg zum EU-Gipfel auf Malta, wo es am Freitag um die europäische Flüchtlingspolitik geht. Die Kanzlerin will mit Ministerpräsident Binali Yildirim und Erdogan darüber sprechen. Der EU-Türkei-Pakt werde nur schleppend umgesetzt, beklagte sie im Dezember. Viele Druckmittel hat sie aber nicht.

Im Gegenteil, meint der Abgeordnete der Mitte-Links Partei CHP, Sezgin Tanrikulu. Erdogan könnte mit der Drohung, den Flüchtlingspakt platzen zu lassen, seinerseits Druck auf die EU und auf Deutschland ausüben. Die EU habe sich der Türkei mit den Abkommen „ausgeliefert“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur.

Für Merkel wäre ein Scheitern der Vereinbarungen mit der Türkei, nach denen Griechenland Migranten in die Türkei zurückschicken kann, ein schwerer Rückschlag für ihre Flüchtlingspolitik. Wieder ansteigende Flüchtlingszahlen im Bundestagswahljahr 2017 will ihre Union unbedingt verhindern. Viele Bürger in Deutschland fühlen sich mit der Aufnahme von Flüchtlingen seit 2015, als rund 890 000 Menschen ins Land kamen - darunter überwiegend Syrer, überfordert.

Als heikel wird Merkels Besuch aber schon rein aus zeitlichen Gründen gesehen. Sie besucht die Türkei - mal wieder - sozusagen im Wahlkampf. Schon vor den Parlamentswahlen im November 2015 hatte sie sich in Istanbul mit Erdogan getroffen und sich damit viel Kritik eingehandelt. Nun stimmen die Türken in wenigen Wochen über das von Erdogan und der islamisch-konservativen AKP-Regierung gewünschte Präsidialsystem ab. Kritiker befürchten, dass Merkels Besuch als Unterstützung für Erdogans autoritären Kurs gewertet wird. Das aus deutscher Sicht fragwürdige Präsidialsystem soll mit einer Verfassungsänderung eingeführt werden und Erdogan mehr Macht geben.

Der Oppositionsführer und CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu, sagte der „Süddeutschen Zeitung“, Merkels Besuch laufe auf Wahlkampfhilfe für Erdogan hinaus. Tanrikulu sagt: „Meiner Meinung nach sollten vor dem Referendum gar keine ausländischen Regierungschefs die Türkei besuchen.“ Massenentlassungen, Verhaftungen von Oppositionspolitikern und Journalisten, Erdogans Führungsstil - die CHP erwartet nicht, dass Merkel das anspricht. Dabei hat sie sich bisher oft kritisch zu Einschränkungen von Freiheitsrechten in der Türkei geäußert.

Auch bei der Aufarbeitung des Putschversuchs im Juli 2016, für den die Türkei den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen verantwortlich macht, gibt es enorme Spannungen im deutsch-türkischen Verhältnis. Der türkische Justizminister Bekir Bozdag sagte jüngst dem Sender Kanal 24, der Westen beschütze Anhänger der Gülen-Bewegung und der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Er beschuldigte die Kanzlerin sogar persönlich: „Auch Merkels Deutschland schützt die Terroristen, die Mitglieder der Gülen-Terrororganisation. Es schützt die Terroristen der PKK-Terrororganisation.“

Besonders sensibel ist nun, dass etwa 40 in Nato-Einrichtungen stationierte türkische Soldaten Asyl in Deutschland beantragt haben. Der türkische Verteidigungsminister Fikri Isik fordert, die Asylanträge der mutmaßlichen Putschisten müssten abgelehnt werden. Den Anträgen stattzugeben, würde ernste Konsequenzen haben, droht er. Merkels Sprecher Steffen Seibert sagt, Asylanträge seien für die Bundesregierung keine politische Frage. „Sondern eine Frage, bei der entsprechend den Regelungen des deutschen Asylrechts Einzelfall für Einzelfall von der zuständigen Behörde geprüft werden wird.“

Für weiteren Ärger auf türkischer Seite sorgt der Auftritt des in Deutschland im Exil lebenden regierungskritischen türkischen Journalisten Can Dündar als Ehrengast bei einem Neujahrsempfang des Bundesjustizministeriums. Das türkische Außenministerium sprach von einer „Provokation“ in Zeiten sich verbessender bilateraler Beziehungen. Das von Dündar mit initiierte Online-Medium „Özgürüz“ („Wir sind frei“) sperrten die türkischen Behörden dann in der vorigen Woche - noch bevor die Berichterstattung begonnen hatte.

Ein Gericht in Istanbul hatte Dündar - ehemaliger Chefredakteur der Zeitung „Cumhuriyet“ - im vergangenen Mai wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Der Kläger war Erdogan. In Deutschland ein Kämpfer für die Pressefreiheit, für die türkische Führung ein Spion und Verräter - an Dündar lässt sich ablesen, wie unterschiedlich der Blickwinkel ist.

Die Grünen-Politikerin Claudia Roth fordert Merkel dringend auf, am Donnerstag auch Vertreter der Opposition zu treffen. Dazu machte die Bundesregierung zunächst keine Angaben. Roth sagt der dpa: „Sie muss Erdogan klar machen: Nur eine demokratische Türkei hat einen Platz in Europa. Sonst verspielt Angela Merkel ihre demokratische Glaubwürdigkeit in der Türkei und in Europa.“