Teilerfolg für Stromkonzerne Wird jetzt der Atomdeal aufgeschnürt?
Berlin/Essen (dpa) - Wenn Ende nächster Woche der Bundestag den Milliarden-Deal mit den Atomkonzernen beschließen sollte, dürften etliche Abgeordnete mit erheblichen Bauchschmerzen abstimmen.
Denn mit dem anstehenden Entsorgungspakt können sich die Energieversorger Eon, RWE, EnBW und Vattenfall von der Haftung bei der Beseitigung ihrer nuklearen Altlasten freikaufen. Schon das passt nicht jedem.
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dienstag aber müssen die Steuerzahler, die bereits die schwer vorhersehbaren Kostenrisiken für die Atommüll-Lagerung tragen sollen, wohl noch etwas drauf zahlen. Die Energieriesen haben in Karlsruhe zumindest in Teilen das Recht auf Entschädigungen für den beschleunigten Atomausstieg nach dem Fukushima-Schock 2011 durchgesetzt. Und weitere Klagen der AKW-Betreiber mit Schadenersatz-Forderungen sind noch anhängig.
Koalition und Opposition pochen unisono darauf, dass die Konzerne im Gegenzug für den milliardenschweren Entsorgungspakt mit dem Staat auch sämtliche Klagen fallen lassen müssten. Danach sieht es - bisher zumindest - aber nicht aus. Das bisherige Gesetzespaket sieht das nicht vor. Und die Konzerne winken kühl ab.
Mögliche Entschädigungen für 2010/2011 seien ohnehin sehr überschaubar. Es gehe sicher nicht um Milliardenbeträge, sagte eine RWE-Sprecherin. Die Klage habe außerdem mit dem Endlagerproblem und seiner Finanzierung gar nichts zu tun, heißt es in Branchenkreisen.
Die Energieriesen ächzen angesichts des abgestürzten Börsenstrompreises und des damit verbundenen Wertverlustes ihrer Kraftwerke unter gewaltigen Abschreibungen. Eon verbucht Rekordverluste; RWE steht unter dem Druck seiner vielen kommunalen und Kleinaktionäre, bald wieder eine Dividende auszuschütten. Für 2015 war sie gestrichen worden. Vor diesem Hintergrund denken die Konzerne gar nicht daran, Forderungen fallen zu lassen.
Bei dem Atom-Deal ist geplant, dass der Staat den Unternehmen die Verantwortung für die Atommüll-Endlagerung abnimmt. Dafür sollen die Stromkonzerne bis zum Jahr 2022 rund 23,55 Milliarden Euro bar in einen staatlichen Fonds überweisen, der die Zwischen- und Endlagerung des Strahlenmülls managen soll. Dafür sollen die Betreiber zumindest die Klagen zu Fragen der End- und Zwischenlager fallen lassen, wozu sie auch bereit sind.
Bei diesen „entsorgungsspezifischen Klagen“ geht es darum, dass der Bund Gorleben als Endlager gekippt hat, obwohl die Industrie schon Milliarden in die Erkundung des Salzstocks im Wendland gesteckt hat. Anhängig ist aber unter anderem noch die „Moratoriumsklage“ für die AKW-Abschaltung von März bis Mai 2011.
Der schwedische Staatskonzern Vattenfall streitet zudem vor einem Schiedsgericht in den USA um 4,7 Milliarden Euro Entschädigung von der Bundesregierung. Gerungen wird zudem um die Brennelemente-Steuer, die Ende 2016 ohnehin ausläuft.
Schon bei der Anhörung im Wirtschaftsausschusses des Bundestages in der vergangenen Woche wurde deutlich, dass der Gesetzesentwurf zur Finanzierung der Atom-Folgekosten nach dem Willen der Politik noch nachgebessert werden sollte. Im Kern heißt es, wenn die Energiekonzerne sich freikaufen können, dann nur, wenn sie auch alle Forderungen nach Schadenersatz fallen lassen.
Für Franziska Buch vom Umweltinstitut München steht fest: Sollten die Unternehmen auf ihren Schadenersatz-Forderungen bestehen, müsse der Gesetzgeber die Einzahlung in den öffentlich-rechtlichen Fonds für die Atommülllagerung entsprechend erhöhen. „Es kann nicht sein, dass die Energiekonzerne Milliardensummen vor Gericht einklagen und gleichzeitig aus angeblichem Geldmangel die finanzielle Verantwortung für die Folgekosten ihres Atommülls abgeben“, warnt sie.
Der Linke-Abgeordnete Hubertus Zdebel fordert sogar, die kurz vor dem Abschluss stehenden Verhandlungen über den Endlager-Deal zu stoppen, solange unklar ist, wie viele neue Lasten durch das Urteil auf die Steuerzahler zukommen. Eine Vollbremsung kurz vor dem Ziel erwartet die Wirtschaft eher nicht: „Niemand ist so blöd, den Kompromiss jetzt noch mal in Frage zu stellen“, sagt ein Branchenkenner.
Doch das Pokern in letzter Minute wird wohl noch einmal an Heftigkeit gewinnen. Er rechne mit „harten Verhandlungen“ über die Höhe und die Art des Ausgleichs, sagte der erfahrene Wirtschaftsanwalt Peter Rosin.