Zweifelhaftes „Erfolgsmodell“: Ungarns Antiflüchtlingspolitik

Budapest (dpa) - Noch vor kurzem wäre es undenkbar gewesen, dass Viktor Orban jemals Beifall vom Schriftsteller György Konrad bekommen würde. Angesichts der Flüchtlingskrise hat sich das nun geändert.

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Orban habe „teilweise Recht“, sagte Konrad (82), Ex-Präsident der Berliner Akademie der Künste (1997-2003), der ungarischen Wochenzeitung „Figyelö“. Der Holocaust-Überlebende Konrad ist eine Symbolfigur des ungarischen Liberalismus und damit ein rotes Tuch für Orbans Nationalkonservative und für die Rechtsradikalen.

Zwar halte er Regierungschef Orban immer noch für einen „Provinz-Autokraten“, doch müsse man ihm zugestehen, dass er in der aktuellen Flüchtlingsfrage das Problem erkannt habe, sagte Konrad.

Die Flüchtlingswelle aus Ungarn nach dem gescheiterten antisowjetischen Aufstand 1956 lasse sich mit dem heutigen Zustrom von Menschen nicht vergleichen, die aus einem anderen Kulturkreis stammten als die damaligen ungarischen Migranten. Im Zusammenleben mit muslimischen Einwanderern gebe es in Europa seit langem Probleme.

Was hat Orban in der Flüchtlingsfrage getan? Bis vor kurzem hatte Ungarn die Migranten ebenso weiter nach Westeuropa durchgewunken wie die Balkanstaaten und Griechenland. In diesem Frühjahr startete Orban zunächst eine Propagandakampagne gegen Migranten - mit hetzerischen Plakaten und einer Volksbefragung.

Damals kamen täglich nur ein paar hundert Flüchtlinge nach Ungarn, vor allem aus dem Kosovo. Zugleich stiegen die Umfragewerte der rechtsradikalen Oppositionspartei Jobbik, der zweitstärksten politischen Kraft Ungarns - weil Orbans Partei Fidesz sich wegen ihrer Günstlingswirtschaft unbeliebt gemacht hatte. Da kam Orban das Flüchtlingsthema gerade recht.

Als im Juni auch noch mehrere westliche EU-Staaten ankündigten, Tausende Flüchtlinge aufgrund des Dublin-Abkommens nach Ungarn zurückzuschicken, beschloss Orban den Bau des Zauns an der serbischen Grenze. Dem Dublin-Abkommen zufolge dürfen Flüchtlinge nur dort Asyanträge stellen, wo sie zuerst EU-Boden betreten haben.

Nach der Ankündigung des Zaunbaus stieg die Zahl der ankommenden Flüchtlinge schrittweise auf mehr als 10 000 pro Tag bis zum 15. September, als der Zaun fertig wurde. Zugleich wuchs die Beliebtheit von Fidesz, der Abstand zu Jobbik vergrößerte sich in den Umfragen um fünf Prozentpunkte. Andere Befragungen signalisierten, dass zwei Drittel der Ungarn mit einer Verschärfung der Flüchtlingspolitik einverstanden sind - über alle Parteigrenzen hinweg.

Insgesamt rund 390 000 illegal eingereiste Flüchtlinge hat Ungarns Polizei seit dem 1. Januar gezählt - die meisten sind sofort weiter nach Westeuropa gereist. Die wenigen Tausend, die in Flüchtlingslagern blieben, klagten über schlechte Behandlung.

Seitdem am 17. Oktober auch die Grenze zum Nachbarland Kroatien für gesperrt erklärt wurde, kommen täglich nur noch ein paar Dutzend Flüchtlinge nach Ungarn. Diejenigen, die erwischt werden, kommen vor Gericht. Denn seit dem 15. September gilt illegaler Grenzübertritt in Ungarn nicht mehr nur als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat, die mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden kann. In der Praxis werden die Betroffenen allerdings meist abgeschoben.

Mit den Zäunen an der Grenze zu Serbien und Kroatien hat Ungarn die Flüchtlingsroute in die westlichen Nachbarländer verlagert. Dahinter stecken auch handfeste wirtschaftliche Interessen. Ziel war es, zu verhindern, dass Ungarn Transitland für Flüchtlinge nach Westeuropa bleibt. Anderenfalls könne irgendwann Österreich die Grenze zu Ungarn schließen, warnte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto. Derartiges würde die Wirtschaftsbeziehungen zu Österreich und Deutschland beeinträchtigen. Immerhin sind Deutschlands Autobauer größter Arbeitgeber in Ungarn. Ihr Export läuft auch über Österreich.

Nun haben sich die Grenzzäune vor allem durch ihre Symbolkraft und durch die verschärfte Rechtslage als effizient erwiesen - denn unüberwindlich sind sie nicht. Der Maschendraht an der 175 Kilometer langen Grenze zu Serbien wird gelegentlich von Flüchtlingen durchschnitten oder auch nur hochgeschoben. Die mehr als 300 Kilometer lange Grenze zu Kroatien wird zu zwei Dritteln von den Flüssen Drau und Mur markiert. Die stellenweise nur 50 Meter breiten Fluss-Abschnitte sind auf weiten Strecken nicht durch einen Zaun blockiert. Aber das Wasser steht derzeit hoch und fließt rasend schnell. Und zu kalt zum Schwimmen bleibt es vorerst sowieso.