Prof. Vera Winter von der Bergischen Universität über die Landeskrankenhausplanung „Weg von der Planung auf Bettenzahl-Ebene“

Frau Professorin Winter, der Landeskrankenhausplan, der derzeit erarbeitet wird, soll vor allem auf Spezialisierung und Zentralisierung setzen. Was bedeutet das für das Bergische Land?

Prof. Vera Winter 

Foto: Bergische Universität Wuppertal

Vera Winter: Das sind tatsächlich spektakuläre Pläne. Es geht darum, dass wir wegkommen von der Planung auf Bettenzahl-Ebene. Stattdessen soll es Leistungsbereiche und Leistungsgruppen geben. Dafür werden Fallzahlen festgelegt. Die Idee: Es gibt eine Basis, die Grundversorgung abdeckt. Die Existenz von Kliniken, in deren unmittelbarem Umfeld keine weitere ist, wird aus meiner Sicht nicht gefährdet. Über die Basisversorgung hinaus wird aber auf Leistungsgruppenebene gefragt: Macht es Sinn, diese Leistungen anzubieten? Oder sind die Fallzahlen zu niedrig? Gegebenenfalls wird einem Haus dann etwas weggenommen. Das kann dann für einzelne Kliniken große Effekte haben, etwa bei Fällen, die sehr rentabel sind.

Was passiert bei einer Verschiebung von Leistungsgruppen?

Winter: Leistungsgruppen sind mit unterschiedlichen Fallpauschalen verbunden. Es gibt solche, die sind tendenziell unterfinanziert, und andere, mit denen Häuser eher Gewinne machen. Je nachdem, wer künftig was behält oder eben nicht, kann das problematisch werden.

Falls kleinere Häuser in Schwierigkeiten geraten, geht das nicht zulasten der Grundversorgung?

Winter: Wir müssen klären, wie wir die Notfallversorgung finanzieren. Kleinere Häuser machen die Erstversorgung, dann werden die Menschen zu Spezialisten überwiesen oder gebracht. Wir brauchen ein Vergütungssystem, das für alle funktioniert. Eine wichtige Entscheidung schiebt die Politik schon lange vor sich her: Soll das durch den Markt entschieden werden – das Überleben der Stärksten unter schwierigeren Bedingungen – oder planen wir, wo welche Leistungen angeboten werden? Das müssen wir dann aber finanzieren. Ich sehe viele Politikerinnen und Politiker, die von Überversorgung sprechen, aber wenn es um den eigenen Bereich geht, müssen die Kliniken immer bleiben.

Wie können Finanzierung und Versorgung beurteilt und geplant werden?

Winter: Wenn jetzt eine Klinik finanziell schlecht dasteht, bedeutet das nicht, dass es ein schlechtes Haus ist. Zumal Qualität nicht homogen ist in einem Haus: Es gibt gute Angebote und schlechtere. Planen heißt, Geografie und Qualität gleichzeitig zu berücksichtigen. Als Indikator für Qualität – die schwierig zu messen ist – könnten Fallzahlen genutzt werden. Es gibt da interessante Ansätze: Die zu erwartenden Fallzahlen in einer Klinik – in Bezug auf Region und Einwohnerzahl – werden zu den tatsächlichen Fällen ins Verhältnis gesetzt. Wenn die zweite Zahl geringer ist, ist das oft eine Entscheidung gegen ein Krankenhaus: Patientinnen und Patienten nehmen lieber weitere Wege auf sich, um in ein anderes Krankenhaus zu gehen. Zusätzlich gibt es für bestimmte Leistungen Indikatoren, die dafür entwickelt wurden, dass die Politik sie in der Planung berücksichtigt.

Viele Städte und Gemeinden in NRW steuern auf einen Hausarztmangel zu. Kommt den Kliniken dann nicht eine noch größere Rolle in der Erstversorgung zu?

Winter: Ambulant vor stationär ist ein Grundsatz, der eher noch wichtiger werden muss. In den Kliniken gibt es viel Potenzial bei ambulanten Operationen, die weitere ambulante Versorgung sollte aber nicht ohne Änderungen auf die Kliniken übertragen werden. Es sollten neue Strukturen und innovative Versorgungsmodelle geschaffen werden. In Hamburg zum Beispiel wurde ein „Gesundheitskiosk“ in einem sozial benachteiligten Stadtteil eröffnet – als niedrigschwellige Anlaufstelle. Das hat die Versorgung verbessert. Wir müssen kreativ denken und nicht sagen: Dann müssen es halt die Krankenhäuser richten.

Wie beurteilt die Wirtschaftswissenschaft die Gehälter im Pflegebereich?

Winter: Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass Pflege zu den unterbezahlten Berufen gehört – wir müssen die Leistung stärker honorieren, auch finanziell. Wie das gelingen kann, ist eine Frage, die wir als Gesellschaft beantworten müssen, denn dann müssen wir anderswo sparen oder höhere Steuern zahlen. Ein weiteres Feld ist die Attraktivität des Berufs, die ja nicht nur mit dem Geld zusammenhängt. Und da ist es schon fünf oder zehn Minuten nach zwölf.

Warum ist die Situation in der Pflege so schlecht?

Winter: Die Arbeitsverdichtung hängt auch damit zusammen, dass die Fallpauschalen nicht alle Kosten abdecken. Die Betriebskostenfinanzierung wurde genutzt, um daraus Investitionen zu finanzieren, weil in dem Bereich vom Land zu wenig getan wurde. Jetzt haben wir quasi über Nacht das Pflegebudget bekommen – weg von Fallpauschalen hin zur kompletten Kostenerstattung. Die Grundidee ist gut, die Umsetzung weniger. Denn das Budget führt unter anderem dazu, alles als Pflege zu verkaufen, weil es finanziert wird. Jetzt lohnt es sich für Häuser, dass Pflegekräfte wieder das Essen bringen, denn das kostet nichts, eine Servicekraft aber schon. Außerdem löst es nicht das Problem des Fachkräftemangels.