600 000 Haushalten wird jährlich Strom gesperrt
Berlin (dpa) - Steigende Energiekosten bringen immer mehr Verbraucher in die Klemme. „Früher war Energiearmut ein Randphänomen, doch mittlerweile ist es für viele ein Alltagsproblem geworden“, sagte der Vorstand der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, Klaus Müller, der „Welt am Sonntag“.
Nach seinen Worten kämpfen inzwischen Zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung damit die Energiekosten zu finanzieren. Einer Umfrage der Verbraucherschützer bei Versorgern zufolge wird deswegen bei rund 600 000 Haushalten jährlich der Strom wegen offener Rechnungen der Strom abgedreht.
Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, kritisierte, die Bundesregierung habe „die soziale Dimension der Energiewende nicht im Blick“. Bei niedrigen Einkommen schlügen die steigenden Stromkosten „voll durch“.
Der Aufwärtstrend bei den Strompreisen setzt sich im ersten Halbjahr 2012 unvermindert fort. Nach jüngsten Angaben des Verbraucherportals Toptarif haben seit Januar rund 420 Grundversorger ihre Preise um durchschnittlich 3,5 Prozent angehoben. Je nach Haushaltsgröße bedeutet das eine jährliche Mehrbelastung von 20 bis 60 Euro, in manchen Regionen sogar von mehr als 150 Euro. Im Mai und Juni wird der Strom bei 30 Unternehmen um 4,9 Prozent teurer.
Doch schon in den Jahren zuvor kannte der Strompreis nur eine Richtung: nach oben. 2005 lag er im Schnitt noch bei 18,2 Cent pro Kilowattstunde. Heute sind es je nach Anbieter rund 26 Cent. Bei einem Vier-Personen-Haushalt mit einem Verbrauch von 4000 Kilowattstunden können derzeit mehr als 1000 Euro pro Jahr an Stromkosten anfallen. Daher lohnt es sich, zu vergleichen und von dem meist recht unbürokratischen Anbieterwechsel Gebrauch zu machen.
Für den Anstieg verantwortlich ist aber nicht in erster Linie die Förderung erneuerbarer Energien, wie oft behauptet wird. Diese über den Strompreis zu zahlende Umlage ist in den vergangenen zwölf Jahren meist deutlich geringer gestiegen als der Strompreis - allerdings gab es 2010 einen Sprung von 2 auf rund 3,5 Cent. In diesem Jahr sind knapp 3,6 Cent pro Kilowattstunde zu zahlen.
Fast die Hälfte des Strompreises entfällt auf staatliche Abgaben: Mehrwertsteuer, Ökostrom-Umlage, Konzessionsabgabe und Stromsteuer. Trotz des Aus für acht Kernkraftwerke sind die Beschaffungskosten für Strom gesunken, daher taugt die Energiewende hier nicht als Argument für Preissprünge. Für die aktuellen Anstiege sind vor allem stark erhöhte Kosten für die Netznutzung verantwortlich, sowie neue Befreiungsregelungen etwa bei der Ökostromförderung und bei den Netzentgelten für Unternehmen mit einem hohem Stromverbrauch.
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, gibt der Bundesregierung die Schuld an der zunehmenden Energiearmut. „Schwarz-Gelb hat stromintensive Betrieben bei den Netzentgelten massiv entlastet - dieser Einnahmeausfall treibt die Kosten für Verbraucher und Mittelstand in die Höhe„, sagte Künast der „Welt am Sonntag“ „Hier werden soziale Schieflagen bewusst organisiert.“