Volkswirte geben Prognose Arbeitsmarkt verliert im zweiten Halbjahr an Tempo
Nürnberg (dpa) - Nach einem furiosen Start ins neue Jahr wird der deutsche Arbeitsmarkt nach Experteneinschätzung in der zweiten Jahreshälfte merklich an Tempo verlieren.
Trotz weiterhin gut laufender Konjunktur sei in den nächsten Monaten und auch im Jahr 2018 nicht mehr mit einem so starken Rückgang der Arbeitslosigkeit zu rechnen wie zuletzt, sagten Volkswirte deutscher Großbanken in einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur. Die meisten rechnen damit, dass die Zahlen auf demselben Niveau bleiben. Das hänge auch mit der erwarteten steigenden Zahl arbeitsloser Flüchtlinge zusammen.
„Wir haben Anzeichen, dass sich in den kommenden Monaten die Fluchtmigration stärker in den offiziellen Arbeitslosenzahlen niederschlagen wird“, sagte der Commerzbank-Ökonom Eckart Tuchtfeld. Bisher sei die Arbeitslosigkeit der Deutschen so stark gesunken, dass der leichte Anstieg der Flüchtlings-Arbeitslosigkeit unter dem Strich nicht zu einem Anstieg der Gesamtarbeitslosigkeit führte. Mit einer wachsenden Zahl erwerbsloser Asylsuchender dürfte sich das ändern.
DZ-Bank-Ökonom Michael Holstein sieht beim Jobaufschwung im ersten Halbjahr zudem gewisse „Überzeichnungs“-Tendenzen: „Ein so schneller Abbau der Arbeitslosigkeit lässt sich nicht auf Dauer durchhalten“, ist Holstein überzeugt. Der Chefvolkswirt der KfW-Bankengruppe, Jörg Zeuner, geht dagegen weiterhin von einer „Aufwärtsentwicklung“ auf dem Arbeitsmarkt aus.
In den ersten sechs Monaten war die Zahl der Arbeitslosen um rund 300 000 gesunken. Dabei wurden selbst die guten Vorjahreswerte um im Schnitt 150 000 Menschen unterschritten.
Wegen des starken ersten Halbjahrs wird 2017 nach Einschätzung der Experten trotz der erwarteten „Seitwärtsbewegung“ im zweiten Halbjahr als Boomjahr in die deutsche Arbeitsmarktgeschichte eingehen. Mit voraussichtlich 2,54 bis 2,6 Millionen Erwerbslosen werde die Zahl im laufenden Jahr um voraussichtlich 100 000 bis 150 000 unter dem Vorjahresergebnis liegen, prognostizieren die Ökonomen der großen deutschen Geldhäuser.
Für den Juli erwarten sie zum Auftakt der Sommerpause einen leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit um 55 000 bis 60 000 Erwerbslose auf rund 2,53 Millionen. Das wären dennoch rund 130 000 weniger als vor einem Jahr. Mit dem Beginn der Sommerferien in einigen Bundesländern verschieben viele Firmen ihre Einstellungen auf den Frühherbst.
In konjunktureller Hinsicht sehen die befragten Volkswirte die deutsche Wirtschaft dagegen weiter in Hochform. Wie euphorisch viele Unternehmen die Lage einschätzten, habe erst vor kurzem der Ifo-Geschäftsklimaindex gezeigt. Was vor allem Allianz-Volkswirt Rolf Schneider optimistisch stimmt: „Der Aufschwung wird inzwischen auch von der Industrie mitgetragen.“ Diese profitiere zunehmend von der verbesserten weltwirtschaftlichen Lage - vor allem bei den europäischen Nachbarländern, aber auch in Asien.
Nach Beobachtung des Deutschland-Chefvolkswirts bei der Deutschen Bank, Stefan Schneider, sorgt die extrem rund laufende Wirtschaft bereits bei einigen Unternehmenschefs für Sorgenfalten - mit Blick auf die im nächsten Jahr anstehenden Metall-und-Bau-Tarifrunden. Auch im öffentlichen Dienst liefen Tarifverträge aus. Da dürften die Gewerkschaften wohl versuchen, entsprechend hohe Lohnabschlüsse für die Beschäftigen herauszuholen, vermutet Schneider. Angesichts des knappen Angebotes an Arbeitskräften stünden die Chancen dafür gar nicht so schlecht.