Interview Barmer-Chef Straub: „Bei Privatpatienten besteht die Gefahr der Überversorgung."
Barmer-Chef Christoph Straub über den Abbau von Stellen, die Beteiligung der Firmen an den Gesundheitskosten und warum seine Kasse die Ausgaben für Homöopathie trägt. (2/2) Zurück zu Teil eins: „Wir haben keine Zweiklassenmedizin“
Was sollte denn gemacht werden?
Straub: In einem ersten Schritt müsste die PKV ihren Mitgliedern zumindest die Wahlfreiheit garantieren. Es sollte also allen Privatversicherten jederzeit möglich sein, unter Mitnahme ihrer Alterungsrückstellungen innerhalb des PKV-Marktes das Unternehmen zu wechseln. Jeder muss seine Versicherung ohne Hürden wechseln können — egal, ob es um eine Autohaftpflicht oder eine Krankenkasse geht. Das ist heute nicht so.
PKV-Vertreter sagen, dass die hohen Honorare für Privatpatienten den medizinischen Fortschritt erst möglich machen. Trifft das zu?
Straub: Nein, das ist falsch. Nur große Märkte mit stabiler Finanzierung bieten den Anreiz für medizinischen Fortschritt, für Innovationen. Die GKV ist hier der Motor der Entwicklung, nicht die PKV. Das lässt sich auch historisch belegen: Ein wesentlicher Grund dafür, warum Deutschland zwischen 1880 und dem 1. Weltkrieg mehr Medizinnobelpreisträger als der Rest der Welt hervorgebracht hat, ist, dass schon damals über die GKV eine sichere Finanzierung für sehr viele Patienten gewährleistet war.
Der Verband der Ersatzkassen in NRW fordert, in überversorgten städtischen Regionen eine Nachbesetzung freiwerdender Arztsitze auszuschließen. Sehen Sie das auch so?
Straub: Die freie Arztwahl für die Versicherten ist ein hohes Gut. Das gilt auch für die Freiheit von Ärzten bei der Niederlassung. Ich halte nichts von Zwang. Besser wäre es, Anreize zu schaffen, damit Ärzte freiwillig in ländlichen Regionen tätig werden, sei es in einer Praxis oder im Krankenhaus. Ich halte auch nichts von verbindlichen Quoten beim Medizinstudium, um auf diese Weise die Versorgung im ländlichen Raum gewährleisten zu wollen.
Gesetzlich Versicherte warten meist länger auf einen Arzttermin als Privatpatienten. Haben wir in Deutschland eine Zweiklassenmedizin?
Straub: Bei der Terminvergabe kann es mitunter zu Schwierigkeiten kommen, aber wir haben keine Zweiklassenmedizin. Schließlich wechseln mittlerweile mehr PKV-Versicherte in die GKV als umgekehrt. Das spricht für eine gute Versorgung der Kassenpatienten. Bei Privatpatienten besteht eher die Gefahr der Überversorgung, wie Studien zeigen. In Diagnostik und Therapie wird bei ihnen mitunter zu viel gemacht. Außerdem bereiten stark steigende Prämien vielen PKV-Versicherten im höheren Alter große Sorgen. Sie wären gerne wieder in der GKV mit relativ stabilen Beiträgen und einer kostenlosen Familienversicherung.
Krankenkassen wird vorgeworfen, bei den Abrechnungen zu tricksen: Sie bezahlen Ärzte dafür, dass sie ihre Patienten auf dem Papier kränker machen, als sie tatsächlich sind, um mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds zu bekommen. Hat die Barmer getrickst?
Straub: Nein, wir haben uns an alle gesetzlichen Regelungen gehalten. Richtig ist aber, dass das System Lücken hat und Missbrauch ermöglicht, weil die Erfassung maßgeblicher Diagnosen im ambulanten Bereich nicht mit Kodierrichtlinien vorgeschrieben ist. Es wäre gut, wenn diese Lücken geschlossen würden. Noch einmal: Wir haben mit Ärzten keine Verträge geschlossen, die nicht legitim sind.
Sie fordern ein neues Vergütungssystem: Gleiches Geld für gleiche Leistung. Was soll das bringen?
Straub: Heute werden Leistungen im Krankenhaus mitunter dreimal so hoch vergütet wie die gleiche Leistung bei ambulanter Behandlung. Das führt zu falschen Anreizen. Wäre die Vergütung einheitlich, ließen sich Kosten sparen. Zudem können immer mehr medizinische Leistungen sicherer ambulant erbracht werden, aber das Vergütungssystem erweist sich als Hindernis. Es ist Aufgabe der Politik, diese Blockade zu lösen.
Die Bezahlung der Homöopathie durch die gesetzlichen Kassen ist umstritten, weil die Wirksamkeit nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist. Warum zahlt die Barmer trotzdem?
Straub: Der Gesetzgeber schreibt uns vor, dass alternative Behandlungsmethoden neben der klassischen Schulmedizin angeboten werden können. Es sollte also keine einseitige Festlegung auf die Schulmedizin geben. Daran halten wir uns. Rechnungen des Heilpraktikers zahlen wir allerdings nicht.