OTC-Präparate Bayer setzt auf Pillen ohne Rezept

Erica Mann ist die erste Frau im Vorstand des Leverkusener Chemieriesen. Sie will das Geschäft mit der Selbstmedikation forcieren.

Foto: KellyMooney/Bayer

Basel. Wenn John O’Mullane von seiner Aufgabe spricht, stellt er sich als Freund und Helfer des Verbrauchers dar. Der Brite ist Leiter des Bereichs Innovation bei der neuen Division Consumer Health (Verbrauchergesundheit) von Bayer. „Unsere Vision ist, die Selbstmedikation voranzubringen — damit mehr Verbraucher ein gesünderes und glückliches Leben führen können.“

Seine Chefin Erica Mann, designiertes Vorstandsmitglied bei Bayer, betont dagegen vor Journalisten in Basel die großen Geschäftsaussichten, die das Geschäft mit „OTC“ für Bayer bedeute. OTC — das steht für „Over the counter“ und damit für die Tabletten und Salben, die nicht verschreibungspflichtig sind, sondern über die Verkaufstheke an den Kunden gehen.

Nach der Übernahme der entsprechenden Sparte vom US-Hersteller Merck und Co. gehe es um einen Umsatz von etwa 6,2 Milliarden Euro allein in diesem Bereich. Erica Mann sieht mehrere Gründe für einen stark wachsenden, „hoch attraktiven“ OTC-Markt: Alternde Bevölkerung, global zunehmender Trend zur Selbstmedikation und der staatliche Wunsch nach niedrigeren Gesundheitskosten. Damit meint sie, dass im Gesundheitssystem viel Geld gespart werden kann, wenn sich die Menschen mit aus eigener Tasche bezahlten Mitteln selbst kurieren. Nicht verschreibungspflichtige oder frei verkäufliche Mittel machen bereits jetzt etwa zehn Prozent vom Umsatz der Arzneimittel aus, die in deutschen Apotheken verkauft werden. Die Apotheker dürften kaum etwas dagegen haben, wenn ihr Umsatz weiter stiege. Und vor allem: dass er sich nicht wie etwa in den USA oder in Großbritannien in Supermärkte verlagert.

Kritiker einer Selbstmedikation warnen, dass Menschen, die sich selbst zu heilen versuchen, dabei Fehler machen können. Stichwort Wechselwirkung mit anderen Medikamenten, falscher Gebrauch oder Verzicht auf einen eigentlich notwendigen Arztbesuch. Bayer-Managerin Erica Mann dagegen betont die Erleichterung, die OTC für den Verbraucher haben: „Auch und gerade in wirtschaftlich schweren Zeiten wollen die Leute gesund sein und zur Arbeit gehen. Da helfen sichere, wirksame und schnelle Lösungen.“ Die 1958 in Südafrika geborene Mann, deren Vorfahren einst aus Deutschland auswanderten, erzählt von den Erfahrungen, die sie als Mutter zweier erwachsener Söhne mit den Segnungen von Fiebermittel gemacht hat: „Wenn Sie da mitten in der Nacht ein schnell wirksames Mittel haben, ist das doch eine große Erleichterung.“

Das aktuelle Baby ist für Mann die neue Bayer-Division Consumer Health. Und dieses Baby soll schnell wachsen. Im Tempo „über dem des Marktes“, wie sie sagt. Die große Chance für Bayer sieht sie darin, dass mit dem Kauf der Verbrauchergesundheitssparte von Merck und Co. solche Produkte, die auf dem US-Markt erfolgreich sind, auch nach Europa und in andere Märkte eingeführt werden können. Wie zum Beispiel ein Mittel zur Bekämpfung von Allergiesymptomen, das nicht müde machen soll.

Oder der „Custom Fit Kiosk“, den Bayer-Entwickler John O’Mullane mit Enthusiasmus vorführt. Das mannshohe Gerät erinnert an einen Crosstrainer und steht in den USA bereits in vielen Drogerie- oder Supermärkten. Der Kunde zieht seine Schuhe aus und stellt sich darauf. Er hebt das linke Bein. Dann das rechte. Dann wiegt er sich ein wenig hin und her. Auf einem Bildschirm wird sodann die Empfehlung für die individuell errechnete Schuheinlage angezeigt. Und die kann der Kunde dann sofort aus dem Seitenfach der Maschine ziehen und käuflich erwerben. Ist das die Zukunft? Jedenfalls ist es kein Spaß für Orthopäden oder Sanitätshäuser.