Brüssel eröffnet Verfahren wegen Hauptstadtflughafens
Brüssel/Schönefeld (dpa) - Mit dem neuen Hauptstadtflughafen hat sich Deutschland nun auch Ärger in Europa eingehandelt: Die EU-Kommission leitet ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik ein, nachdem die Behörden die Folgen einzelner Flugrouten für die Umwelt nicht geprüft hatten.
Anwohner hatten Brüssel eingeschaltet. Nach dem Debakel um geplatzte Eröffnungstermine und ausufernde Kosten geht damit der jahrelange Streit um die Flugrouten in eine neue Runde. Zusätzliche Gefahr für die Eröffnung des Milliardenprojekts droht zunächst nicht.
„Es könnte sein, dass alles bleibt, wie es ist“, sagt der Sprecher der Deutschen Flugsicherung, Axel Raab. Möglich sei aber auch, dass einige Flugrouten geändert werden müssten. „Das kann dann ein langer Prozess sein.“ Solange bliebe die Rechtsverordnung gültig, mit der das BAF im Januar 2012 die Routen festgelegt hatte. Flughafensprecher Ralf Kunkel sagte: „Auf die Fertigstellung und die Eröffnung des BER hat das Verfahren keinen Einfluss.“
Der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) drängte am Donnerstag den Bund, sich entschieden für den Flughafen einzusetzen. „Die BRD wird in diesem Verfahren ihre Position vertreten und sie können ganz sicher sein, dass dies nicht zum Schaden des Flughafens Berlin-Brandenburg sein wird“, sagte er im Abgeordnetenhaus. Der Brandenburger Regierungssprecher Thomas Braune sagte, das Land habe ein großes Interesse, dass diese Grundsatzfrage europäischen Rechts geklärt werde.
Das EU-Verfahren richtet sich gegen den Bund, der über das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung festlegt, wo die Maschinen entlang fliegen. Noch im Januar hatte das Bundesverkehrsministerium betont, es gebe keine Versäumnisse. Aus den EU-Richtlinien ergebe sich keine Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung. Am Donnerstag kündigte das Ministerium nur an, die Begründung aus Brüssel zu prüfen und in der vorgesehenen Zweimonatsfrist zu antworten.
„Bis jetzt hat Deutschland uns nicht zugestimmt“, sagte Joe Hennon, der Sprecher von EU-Umweltkommissar Janez Potocnik, in Brüssel. Bleibt der Bund bei seiner Linie, könnten die Angelegenheit ein Fall für den Europäischen Gerichtshof werden. Er könnte Deutschland mit Zwangsgeldern zwingen, seine Gesetze zu Umweltverträglichkeitsprüfungen zu ändern.
Die Flugrouten sind in Berlin und Brandenburg seit fast drei Jahren umkämpft, weil sie vielfach anders verlaufen werden als der Flughafen es den Bürgern zuvor jahrelang glauben machte. Für die Grobplanung im 2006 genehmigten Planfeststellungsbeschluss wurde die Umweltverträglichkeit geprüft, für die 2012 verbindlich festgelegten Routen nicht.
„Wir würden behaupten, dass man die tatsächlichen Flugrouten berücksichtigen muss, um die Umweltauswirkungen eines Flughafens zu beurteilen“, sagte der Kommissionssprecher. Deutschland müsse seine Gesetze entsprechend EU-Umweltrecht ändern.
Die EU-Kommission erklärte später, sie sei wegen des Berliner Flughafens in Kontakt mit der Bundesregierung. Diese habe weitere Informationen zu den Umweltverträglichkeitsprüfungen eingereicht. „Wir prüfen diese Informationen, um zu kontrollieren, ob die Prüfungen als ausreichend [...] angesehen werden können“ - und zwar im Sinne der europäischen Umweltgesetzgebung.
Die 2012 beschlossenen Routen führen unter anderem am Rangsdorfer See südlich Berlins und am Müggelsee im Südosten der Hauptstadt vorbei - aus den Anrainergemeinden gelangten die Beschwerden nach Brüssel.
„Am Rangsdorfer See rasten im Frühjahr und Herbst 40 000 Gänse und fressen sich ihre Reserven an“, sagte der Sprecher der Rangsdorfer Bürgerinitiative, Robert Nicolai. Künftig könnten Flugzeuge sie in weniger als 600 Metern Höhe überqueren. „In der Höhe darf nicht einmal ein Ballon über ein Vogelschutzgebiet fliegen - aber ein Jumbojet soll das dürfen.“ Die Bürger warnen auch vor Unfällen, wenn Vögel in Triebwerke geraten. „Brüssel nimmt die Sache ernst“, sagte Nicolai. „Das ist ein gutes Zeichen.“