Cum-Ex-Aktienhandel: Steuerskandal im Rampenlicht
Untersuchungsausschuss des Bundestages hört am Montag Steinbrück und Schäuble an.
Berlin. Der Untersuchungsausschuss zum möglicherweise größten Steuerskandal in der bundesdeutschen Geschichte geht in die entscheidende Phase. Kommende Woche müssen Peer Steinbrück (SPD) und Wolfgang Schäuble (CDU) aussagen.
Schon seit Anfang 2016 beschäftigen sich die 16 Ausschussmitglieder im Bundestag mit der Frage, warum gut betuchte Anleger über viele Jahre hinweg gigantische Steuerschlupflöcher nutzen konnten, obwohl dem Bundesfinanzministerium schon frühzeitig Hinweise über die dubiose Praxis vorlagen. Bislang hat das Gremium 37 Mal getagt und dabei fast 80 Zeugen angehört, darunter ein Dutzend Bankenvorstände.
Wegen laufender Gerichtsverfahren machten viele jedoch von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch. "Schon daran lässt sich die Dimension dieses Falls erkennen", sagt der grüne Ausschuss-Obmann Gerhard Schick im Gespräch mit unserer Redaktion.
Bekannt geworden sind die Vorgänge unter dem kryptischen Namen "Cum-Ex", was übersetzt "mit" oder "ohne" heißt. Durch windige Konstruktionen beim Aktienhandel mit oder ohne Dividendenanspruch konnten sich Nutzer zwischen den Jahren 2002 und 2012 die Kapitalertragsteuer gleich mehrfach vom Staat erstatten lassen.
Experten schätzen den Schaden für die Allgemeinheit auf mindestens zwölf Milliarden Euro. Eine ähnliche Form der Steuervermeidung waren so genannte Cum-Cum-Geschäfte, die erst 2016 unterbunden wurden. Dabei verliehen ausländische Aktieneigner ihre Papiere genau dann an inländische Banken, wenn die steuerpflichtige Dividende fällig wurde. Auch dadurch kam es zur Erstattung der Kapitalertragsteuer. Die Verluste für den deutschen Fiskus werden hier auf bis zu fünf Milliarden Euro pro Jahr zwischen 2006 und 2016 geschätzt.
"Cum-Ex ist für mich eindeutig kriminell", erläutert Schick. "Das ist praktisch so, als würde man pro Kind mehrfach Kindergeld kassieren, nur eben in viel größerem Ausmaß." Bei Cum-Cum liegt die Sache juristisch anders. Hier ist der Vorwurf, es handele sich um missbräuchliche Steuergestaltung. "Bei Cum-Cum ermitteln deshalb nicht wie bei Cum-Ex die Staatsanwälte, sondern es geht darum, dass die Finanzämter das zu viel ausbezahlte Geld zurückfordern", so Schick.
Von Peer Steinbrück, der zwischen November 2005 und Oktober 2009 Bundesfinanzminister war, erhofft sich der Ausschuss in seiner Sitzung am kommenden Montag mehr Licht im Cum-Ex-Dunkel. Erste Anhaltspunkte für den Skandal gab es bereits im Jahr 2002. Doch erst zehn Jahre später kam es zu einem wirksamen gesetzlichen Riegel.
Eine zwischenzeitlich unter Steinbrück beschlossene Gegenmaßnahme hatte "Cum-Ex" eher noch angefacht. "Mir ist schleierhaft, warum der Staat hier so lange zuschaute", empört sich Schick. In der Amtszeit Steinbrücks habe es eine geradezu "naive Kooperation" zwischen Banken und Ministerium gegeben. "Das war klares Organisationsversagen", resümiert der Grünen-Politiker.
Die Cum-Cum-Deals schienen einer vergleichbaren Dramaturgie zu folgen. Erste Hinweise darauf gab es sogar schon Ende der 1970er Jahre. Jetzt wurde ein Schreiben des früheren Münchner Oberbürgermeisters Christian Uhde (SPD) vom Juni 2011 bekannt, in dem er den bereits damals amtierenden Finanzressortchef Wolfgang Schäuble (CDU) wissen ließ, dass er Erkenntnisse über die Unterstützung deutscher Banken zur Vermeidung der deutschen Kapitalertragsteuer für ausländische Anleger habe.
Trotzdem unterband Schäuble die Praxis erst 2016. Die Altfälle bleiben davon allerdings unberührt. Ob jetzt die Finanzämter die Banken zu Rückzahlungen zwingen sollen, ist derzeit zwischen Bund und Ländern strittig.
"Offenbar will Schäuble den Banken Nachzahlungen ersparen, zulasten der Steuerzahler", kritisiert Schick. Dem Ausschuss soll Schäuble am kommenden Donnerstag Rede und Antwort stehen. Es könnte eine lange Sitzung werden.