Daimler muss sich wegen Foltervorwürfen verantworten
New York/Stuttgart (dpa) - Verschleppung, Folter, Mord: Die Vorwürfe, die eine Gruppe Argentinier gegen Daimler erhebt, sind an Schwere kaum zu überbieten. Der deutsche Autokonzern, so sagen sie, sei in die Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur in den 1970er Jahren verstrickt.
Das Unternehmen habe unliebsame Gewerkschafter ans Messer geliefert - viele von ihnen seien nie wieder aufgetaucht. Daimler muss nach all den Jahrzehnten nun doch noch ein Verfahren in den USA fürchten.
Eine Berufungskammer in Kalifornien entschied am Mittwoch (Ortszeit), dass eine entsprechende Klage zulässig ist. Daimler wies die schon seit langem im Raum stehenden Vorwürfe am Donnerstag zurück. „Wir halten das US Gericht nach wie vor für nicht zuständig und werden deshalb sämtliche zur Verfügung stehende Rechtsmittel einlegen“, erklärte der Konzern. „Wir halten die Klagen auch inhaltlich für unbegründet.“
Die Kläger sind 22 ehemalige Mitarbeiter oder Angehörige von Mitarbeitern des Mercedes-Benz-Werks im argentinischen Gonzalez Catan. Mercedes-Benz Argentina habe damals die Namen mehrerer unbequemer Arbeitnehmervertreter an die Militärdiktatur weitergegeben, um einen Streik zu beenden, lautet ihr Vorwurf. Einige der Kläger sagen, sie seien selbst Opfer der Verfolgung geworden. Andere Menschen seien nie wieder aufgetaucht und vermutlich ermordet worden.
Die Militärs in Argentinien hatten 1976 die Macht übernommen. Es folgte ein „schmutziger Krieg“ gegen die eigene Bevölkerung. Tausende, vielleicht sogar Zehntausende Regimegegner verschwanden und kamen nie wieder. Daimler, so sagen die Kläger, sei derart eng mit den Militärs gewesen, dass die Werksleitung von Gonzalez Catan sogar den berüchtigten lokalen Polizeichef Ruben Lavallen als Sicherheitschef anheuerte. 1983 endete die Schreckensherrschaft.
Die Kläger versuchen seit 2004, Daimler in Kalifornien zur Rechenschaft zu ziehen. Ein US-Bezirksgericht hatte die Klage 2007 mit der Begründung abgewiesen, nicht zuständig zu sein. Das sah das dreiköpfige Berufungsgericht letztlich anders. Daimler verkaufe in den Vereinigten Staaten im Allgemeinen und in Kalifornien im Besonderen einen guten Teil seiner Autos - das Unternehmen sei hier also vertreten und falle entsprechend unter die US-Gerichtsbarkeit. Zu den Vorwürfen selbst äußerte sich das Berufungsgericht indes nicht. Das soll nun eine andere Instanz klären.
Dabei hatte Daimler den Fall eigentlich längst ad acta gelegt. Im Jahr 2003 hatte eine vom Konzern eingesetzte Kommission, in der externe Experten saßen, das Unternehmen von den Vorwürfen der Verstrickung in die Verbrechen der Militärjunta entlastet. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hatte zuvor ein Verfahren gegen den damaligen Werksleiter Juan Ronaldo Tasselkraut eingestellt; ihm persönlich war Beihilfe zum Mord oder Totschlag vorgeworfen worden.
Die schweren Vorwürfe waren über die Jahre besonders auf den Hauptversammlungen immer wieder hochgekocht. Menschenrechtsgruppen bis hin zu Amnesty International schalteten sich ein. Die Ergebnisse der konzerneigenen Kommission, die vom Berliner Völkerrechtler Christian Tomuschat geleitet wurde, ließen die Kritiker nicht gelten. Sie warfen ihm mangelnde Recherche vor - er habe überhaupt nicht mit den Opfern der Militärdiktatur gesprochen.
Die USA sind bei Klägern beliebt, weil die Strafen hoch und die Gerichte oftmals willens sind, auch Fälle aus dem Ausland anzunehmen. So haben mehrere Tausend Opfer des südafrikanischen Apartheid-Regimes im Jahr 2002 neben namhaften US-Konzernen auch Daimler und den Rheinmetall-Konzern vor ein amerikanisches Gericht gezerrt. Der Vorwurf lautet hier ebenfalls, die Unternehmen hätten mit dem Regime gemeinsame Sache gemacht. Auch dieses Verfahren läuft noch.