Defizitsünder werden in Brüssel erst mal geschont
Brüssel (dpa) - Die EU-Kommission will erst im kommenden Jahr entscheiden, ob sie gegen Schuldensünder in der Eurozone weitere Schritte ergreift. Die Behörde gibt damit insbesondere Frankreich und Italien eine Atempause.
Warum greift die neue EU-Kommission von Jean-Claude Juncker nicht sofort zu Sanktionen?
Dafür gibt es zunächst wirtschaftliche Gründe. Viele Länder kommen nicht aus der Krise, Italien steckt immer noch in einer Rezession. Dann gibt es auch politische Gründe. Nach Jahren der Krise ist Sparen unpopulär. Italiens Regierungschef Matteo Renzi nutzt bei der EU jede Gelegenheit, um das Ende eines harten Sparkurses zu verkünden.
Es hat aber auch mit der Kommission selbst zu tun?
Ja. Die Juncker-Kommission amtiert erst seit Monatsbeginn. Sie hat kein Interesse daran, ihr fünfjähriges Mandat mit einem Defizit-Eklat einzuläuten. Juncker sagte etwa der italienischen Zeitung „Repubblica“, er wolle die betroffenen Länder sprechen lassen. Und er wolle zuhören. Junckers Prestigevorhaben, ein Investitionspaket von 315 Milliarden Euro, muss noch von den EU-Staats- und Regierungschefs gebilligt werden. Der Luxemburger braucht also Verbündete.
Warum ist der Fall Frankreich so heikel?
Frankreich ist schon seit fünf Jahren im Defizitstrafverfahren und bekam bereits zweimal mehr Zeit, sein Defizit unter die Marke von drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu drücken. Nun klappt es wieder nicht. Und Paris braucht einen neuen Aufschub.
Nun läuft eine Frist bis März - was soll bis dahin passieren?
Es werden aus Paris weitere Reform- und Sparschritte erwartet. Premier Manuel Valls gab Zusicherungen. Es ist deutlich, dass die EU-Währungshüter beim sogenannten Strukturdefizit - dabei sind konjunkturelle Einflüsse ausgeblendet - für das kommende Jahr weitere Verbesserungen sehen wollen. Paris will es um 0,3 Prozentpunkte drücken, zugesagt waren aber 0,8 Punkte. Man werde sich irgendwo in der Mitte treffen, lautet die Erwartung.
Digitalkommissar Günther Oettinger meldete sich im Defizitstreit mit harten Tönen zu Wort - mit Erfolg?
Der Deutsche machte sich mit Äußerungen in der französischen Zeitung „Les Echos“ dem Vernehmen nach wenig Freunde. Darin bezeichnete er Frankreich als „rückfälliges Defizitland“. Währungskommissar Pierre Moscovici äußerte sich zwar nicht im Detail dazu, unterstrich aber, für diese Fragen seien EU-Kommissionsvizechef Valdis Dombrovskis und er verantwortlich - „und kein anderer sonst“. Das ist für Brüsseler Verhältnisse ein deutlicher Warnschuss.
Belgien und Italien müssen sich auch bis März bewegen. Warum?
Auch Italiens Regierungschef Renzi und der belgische Premier Charles Michel sicherten der Kommission weitere Reformen zu. Beide Länder stecken zwar nicht in einem Defizitverfahren, ihnen drohen aber Verfahren wegen überhöhter Staatsverschuldung. Unter besonderer Beobachtung stehen auch Spanien, Malta, Österreich und Portugal.
Gibt es Kritik an der Vertagung von Entscheidungen?
Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold meint, 14 Euroländer hielten Absprachen und EU-Haushaltsregeln nicht ein - das wären doppelt so viel wie von der Kommission moniert. Mit der Verschiebung lenke die EU-Behörde vom eigentlichen Problem ab: Das „starre Korsett“ des verschärften Euro-Stabilitätspaktes halte einem Praxistest nicht stand. Der Pakt müsse noch einmal reformiert werden.