Der Absturz des Stahlbarons
Gerhard Cromme war der starke Mann bei Thyssen-Krupp. Jetzt kehrt er dem Konzern überraschend den Rücken.
Essen. Von Arbeitern wurde er 1987 in Rheinhausen beschimpft und bedroht, von Aktionären noch jüngst wegen seiner Kritikresistenz als „größte Teflonpfanne der Republik“ verspottet.
Nie ließ Gerhard Cromme sich von seinem Kurs an der Spitze des Thyssen-Krupp-Stahlkonzerns und später des Aufsichtsrates abbringen. Jetzt warf er kurz nach seinem 70. Geburtstag völlig überraschend das Handtuch — wenige Tage nach erneuten Kartellvorwürfen und sogar einer Razzia gegen sein Unternehmen.
Cromme, zieht sich vollständig aus dem Konzern zurück. Er zieht damit Konsequenzen aus den Fehlentwicklungen bei dem Stahl- und Anlagenbauer und macht den Weg frei für einen Neuanfang.
Nach zwölf Jahren an der Spitze des Kontrollgremiums werde er zum 31. März den Posten niederlegen, teilte das Unternehmen mit. Cromme habe zudem die Krupp-Stiftung gebeten, seine Entsendung in den Aufsichtsrat zum gleichen Zeitpunkt zu beenden. Die Stiftung ist mit rund 25 Prozent größter Anteilseigner von ThyssenKrupp.
Der ehrgeizige, schlanke Manager galt als designierter Nachfolger des 99 Jahre alten Patriarchen Berthold Beitz an der Spitze der mächtigen Krupp-Stiftung. Die Stiftung hat mit einer Sperrminorität und Sonderrechten beherrschenden Einfluss auf den Essener Dax-Konzern.
Noch Ende 2012 hatte Stiftungschef Beitz per Zeitungsinterview trotz aller anschwellenden Kritik klipp und klar angeordnet: „Cromme bleibt.“ Der Rückzug seines Mannes Cromme aus allen Ämtern ist nun auch eine Niederlage für den lange unangreifbar wirkenden Beitz.
Es war wohl ein Tiefschlag zu viel für Thyssen-Krupp. Beitz, der Schlagzeilen über unsaubere Geschäftspraktiken zutiefst verabscheut, dürfte Cromme die Entscheidung nahe gelegt haben, vermutet ein Insider. Missmanagement beim Bau des Stahlwerkes in Brasilien und hohe Abschreibungen hatten das Unternehmen im abgelaufenen Geschäftsjahr tief in die Verlustzone gestürzt.
Wegen Kartellvorwürfen stand das Unternehmen immer wieder in den Schlagzeilen: Erst ein Aufzugskartell, dann Preisabsprachen für Schienen zulasten von Bahn und Verkehrsbetrieben, also letztlich zulasten fast aller Verbraucher. Zuletzt soll Thyssen-Krupp auch mit illegalen Absprachen bei der Belieferung der Autoindustrie betrogen haben.
Viel spricht dafür, dass Crommes Nachfolger an der Spitze des Aufsichtsrates von außerhalb kommen wird. Aktionäre fordern einen kompletten Neuanfang auch im Kontrollgremium. Das könnte bei der Stiftung und Thyssen-Krupp das Selbstverständnis auf den Kopf stellen. Die Stiftung, die gegenüber dem alten Krupp-Familiensitz, der Villa Hügel, residiert, versteht sich immer noch auf geradezu magische und persönliche Weise als Verwalterin des 1967 gestorbenen letzten Krupp: Alfried Krupp von Bohlen und Halbach.
Jetzt dürfte noch stärker als bisher der neue Geist des 2011 von Siemens zu Thyssen-Krupp gewechselten Vorstandschefs Heinrich Hiesinger Einzug halten — nüchterner, internationaler, auch branchenüblicher. Daran müssen sich auch Arbeitnehmervertreter gewöhnen, denen vorgeworfen wurde, nicht die nötige Distanz zu den Kapitalvertretern zu halten. Vor kurzem hatte Heinrich Hiesinger eine Abschaffung des Privilegiensystems beim Ruhrkonzern angekündigt.