Gesundheit Der Kampf um die Lebensmittel-Ampel
Verbraucherschützer fordern schon lange eine farbliche Kennzeichnung auf Lebensmitteln — ohne Erfolg. Einige Konzerne kontern die Kritik mit einem eigenen Konzept.
Düsseldorf. Seit Jahren tobt in Europa ein Streit um die Kennzeichnung von Lebensmitteln. Ob das Müsli gesund ist und der Brotaufstrich nicht, können die Konsumenten auf den ersten Blick aber nicht erkennen. Verbraucherschützer fordern deshalb seit Jahren eine gut sichtbare Ampel-Kennzeichnung auf der Vorderseite aller verpackten Lebensmittel. Bislang hat sich die Industrie mit Erfolg dagegen gewehrt. Derzeit prüft die EU-Kommission, ob die Vorschriften geändert werden sollten.
Das Original-Ampelsystem wurde von der britischen Lebensmittelbehörde FSA 2007 vorgestellt. Es geht darum, wie hoch der Anteil zentraler Inhaltsstoffe wie Fett, Zucker und Salz ist. Rot auf der Ampel steht für einen zu hohen Anteil, Gelb für ein tolerables Maß und Grün für eine niedrige und damit gesunde Menge.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) mahnt die Einführung einer solchen Kennzeichnung an. „Die Ampel schafft Transparenz“, sagt VZBV-Vorstand Klaus Müller. Dies leiste die schon heute verpflichtende Nährwerttabelle (siehe Info-Kasten) auf der Rückseite der verpackten Lebensmittel nicht. Die Tabelle sage nichts darüber aus, ob der Gehalt an Fett, Zucker oder Salz als hoch, mittel oder niedrig zu bewerten sei.
Eine ganz andere Sicht auf die Dinge hat der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL), Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft. Die Nährwerttabelle biete dem Verbraucher alle notwendigen Informationen in neutraler und sachgerechter Form. Jede farbliche Gestaltung sei subjektiv wertend und teile Lebensmittel in „gesund“ und „ungesund“ ein, da „Rot“ immer als Stopp-Signal verstanden werde. Wie der BLL auf Nachfrage dieser Zeitung schreibt, gibt es aber keine „gesunden“ und „ungesunden“ Lebensmittel. „Es kommt immer auf die Gesamtzusammensetzung der Ernährung an, und im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung hat jedes Lebensmittel seinen Platz.“
Der Verbraucherzentrale Bundesverband hält dagegen eine EU-weit gültige Lebensmittel-Ampel im Kampf gegen Fettleibigkeit für unverzichtbar. In der Zwischenzeit sollte die neue Bundesregierung den Vorbildern Frankreichs und Großbritanniens folgen und auf der Vorderseite von Lebensmittel-Verpackungen eine farbliche Nährwert-Kennzeichnung einführen. Eine repräsentative Verbraucherbefragung der Uni Göttingen im Auftrag des VZBV habe gezeigt, dass die Akzeptanz für eine Ampel in der Bevölkerung sehr hoch sei.
Möglicherweise hat diese hohe Akzeptanz sechs große Lebensmittelkonzerne ermuntert, mit einer eigenen Nährwert-Ampel in die Offensive zu gehen. Im Spiel sind dabei die Getränkeriesen Coca-Cola und PepsiCo sowie die Nahrungsmittelhersteller Mars, Nestlé, Unilever und Mondelez.
Zwischen der Original-Ampel und dem Ampel-Angebot der Industrie gibt es aber einen gravierenden Unterschied: Das Original berechnet die Ampelfarbe auf der Grundlage von 100 Gramm oder 100 Milliliter. Sie springt zum Beispiel auf Rot, sobald ein Produkt mehr als 15 Prozent Zucker enthält. Im Gegensatz dazu berechnet die Industrie-Ampel die Farbgebung auf Basis von Portionsgrößen. Bei allen Portionen bis zu 60 Gramm zeigt die Industrie-Ampel erst dann Rot, wenn mehr als 13,5 Gramm Zucker in einer Portion enthalten sind. Nutella müsste mit der vorgesehenen Portionsgröße von 15 Gramm zu mehr als 90 Prozent aus Zucker bestehen, damit die Ampel Rot zeigt.
Bei Salz springt die Original-Ampel auf Rot, sobald ein Produkt mehr als 1,5 Prozent Salz enthält. Die Industrie-Ampel dagegen zeigt bei allen Portionen bis zu 60 Gramm erst dann Rot, wenn mehr als 0,9 Gramm Salz enthalten sind. Eine Portion Tuc (30 Gramm) müsste zu mehr als drei Prozent aus Salz bestehen, damit die Ampel Rot zeigt.
Bei Fett springt die Original-Ampel auf Rot, wenn ein Produkt mehr als 20 Prozent Fett enthält. Die Industrie-Ampel zeigt dagegen erst dann Rot, wenn mehr als 10,5 Gramm Fett enthalten sind. Chips (Portion: 30 Gramm) müssten demnach zu mehr als 35 Prozent aus Fett bestehen, damit die Industrie-Ampel Rot anzeigt.
„Was für ein fieses Lobby-Manöver: Nestlé, Coke & Co. kapern die eigentlich sinnvolle Idee einer verbraucherfreundlichen Nährwertkennzeichnung und führen sie mit ihrer Pseudo-Ampel ad absurdum“, kritisiert Oliver Huizinga von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch.
Nestlé weist den Vorwurf der Verbrauchertäuschung zurück. Vielmehr gehe es darum, „Verbraucher auf einen Blick bei einer informierten Auswahl zu unterstützen“, so eine Sprecherin.