Viele Fragen unbeantwortet Deutsche Börse: Fusion trotz Ermittlungen gegen Kengeter
Frankfurt/Main (dpa) - Die Deutsche Börse wähnt sich ungeachtet der Ermittlungen gegen Konzernchef Carsten Kengeter beim Zusammenschluss mit der Londoner Börse fast am Ziel.
„Inzwischen sind wir in der entscheidenden Phase unseres geplanten Zusammenschlusses angelangt“, sagte Kengeter bei der Bilanzvorlage des Dax-Konzerns in Frankfurt. Mögliche Bedenken der Behörden sollen ausgeräumt werden. „Damit könnte der Zusammenschluss im zweiten Quartal vollzogen werden.“
Überschattet wird das Vorhaben von Ermittlungen der Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen Kengeter wegen des Verdachts auf Insiderhandel. Der Manager hatte am 14. Dezember 2015 im Rahmen eines Vergütungsprogramms Deutsche-Börse-Anteile im Wert von 4,5 Millionen Euro gekauft, die er nicht vor Ende 2019 veräußern darf. Zehn Wochen später, am 23. Februar 2016, machten Deutsche Börse und London Stock Exchange (LSE) Fusionsgespräche öffentlich. Die Aktienkurse beider Unternehmen stiegen in der Folge deutlich.
„Klar ist, dass der im Raum stehende Vorwurf im Interesse integrer Märkte aufzuklären ist“, sagte Kengeter. Er sei „sicher, dass sich die Vorwürfe nach eingehender Prüfung als unbegründet erweisen werden“. Der Frage nach einem möglichen Rücktritt wich Kengeter aus: „Das sind rein spekulative Fragen, die ich nicht aufnehmen kann.“ Der Aufsichtsrat hatte dem seit Juni 2015 amtierenden Börsenchef „volles Vertrauen“ ausgesprochen, für den Vorstand bekräftigte das am Donnerstag Finanzvorstand Gregor Pottmeyer.
Bis zum 3. April will die EU-Kommission ihre Prüfung des Fusionsvorhabens abschließen, danach muss unter anderem noch die hessische Börsenaufsicht zustimmen. Für Kritik sorgt am Finanzplatz Frankfurt vor allem, dass die beiden Konzerne London als rechtlichen Sitz der Dachgesellschaft vereinbart haben. Bei einem EU-Austritt der Briten (Brexit) wäre damit der Sitz außerhalb der Europäischen Union.
„Wir haben gut zugehört, was uns die Verantwortlichen in Hessen gesagt haben“, sagte Kengeter. Er ließ jedoch auch auf mehrfache Nachfrage offen, ob er auf den Chefsessel der geplanten europäischen Superbörse verzichten und einem Londoner den Vortritt lassen würde, wenn der Sitz der Holding im Gegenzug nach Frankfurt kommen würde. In den Verträgen, die die beiden Konzerne geschlossen haben, ist London als Holdingsitz festgelegt.
Die deutschen Aufseher sind besorgt, dass die fusionierte Börse aus London heraus gesteuert wird. Das würde ihnen den Zugriff auf das Management erschweren. Die Zeit für die Fusionspartner wird knapp: „Diese Transaktion muss zum 30. Juni geschlossen sein, sonst verfällt sie“, sagte Kengeter.
Rückhalt gibt dem Börsenchef und dem Dax-Konzern das zuletzt gut laufende Geschäft. Das vergangene Jahr beendete die Börse mit einem Schlussspurt. Die Nettoerlöse legten zum Vorjahr um 8 Prozent auf 2,39 Milliarden Euro zu. Der Gewinn stieg auch dank Einsparungen gar um 18 Prozent auf unter dem Strich 722 Millionen Euro. Die Aktionäre sollen je Aktie 2,35 (Vorjahr: 2,25) Euro Dividende erhalten.
Nach einem starken ersten Halbjahr hatte sich das Handelsgeschäft im Sommer etwas abgeschwächt - viele Anleger hielten sich nach der Brexit-Entscheidung zunächst zurück. Nach dem Wahlsieg von Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl kam aber neuer Schwung in die Finanzmärkte - die Deutsche Börse verdient daran durch Gebühren. Im Schlussquartal alleine stiegen die Nettoerlöse um 12 Prozent. Es sei das stärkste Quartal seit 2008 gewesen, sagte Kengeter. Auch im laufenden Jahr will das Unternehmen kräftig wachsen.