Deutscher EZB-Chefvolkswirt Stark tritt zurück
Frankfurt/Main (dpa) - Zum zweiten Mal binnen weniger Monate verlässt mit EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark ein deutscher Stabilitätswächter die geldpolitische Bühne.
Überraschend erklärte er am Freitag seinen Rückzug - offiziell aus „persönlichen Gründen“. Stark galt, wie der im Februar zurückgetretene Bundesbank-Präsident Axel Weber, als Kritiker der milliardenschweren Anleihekäufe, mit der die EZB kriselnde Euro-Staaten stützt. Dax und Euro brachen ein. Als Nachfolger Starks schickt Berlin Kreisen zufolge Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen ins Rennen.
Der damalige Bundesbank-Präsident Axel Weber hatte vor rund einem halben Jahr wegen des Krisenmanagements in der Eurozone sein Amt niedergelegt. Weber hatte bis dahin als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge des scheidenden Notenbank-Präsidenten Jean-Claude Trichet gegolten. Auch der neue Bundesbank-Präsident Jens Weidmann soll den Anleihekäufen kritisch gegenüberstehen.
Bis zur Ernennung eines Nachfolgers auf dem Posten des EZB-Chefvolkswirts - voraussichtlich zum Jahresende - bleibt Stark laut EZB-Angaben im Internet im Amt. Der ehemalige Bundesbank-Vizepräsident sitzt seit Juni 2006 im Direktorium der Europäischen Zentralbank, das unter anderem für die Durchführung der Geldpolitik im Euro-Raum zuständig ist.
Jean-Claude Trichet dankte Stark „von ganzem Herzen für den außergewöhnlichen Beitrag zur europäischen Einigung über viele Jahre“. Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker wollte den Schritt nicht näher kommentieren.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bedauerte den Rücktritt. „Die Bundesregierung nimmt das mit Bedauern und mit Respekt zur Kenntnis“, sagte Schäuble am Rande des G7-Treffens am Freitag in Marseille dem ZDF. Er kündigte zugleich an, dass Deutschland einen „guten Vorschlag“ für die Nachfolge Starks im EZB-Direktorium unterbreiten werde. Namen nannte Schäuble allerdings nicht.
dpa-Informationen zufolge soll Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen nach dem Willen der Bundesregierung Nachfolger Starks werden. Wie dpa aus informierten Berliner Kreisen erfuhr, will Bundeskanzlerin Angela Merkel Asmussen als Kandidat für den Posten vorschlagen. Offiziell werden die Mitglieder des EZB-Direktoriums vom Europäischen Rat ernannt.
Unionspolitiker reagierten entsetzt auf den Rückzug Starks. Sein Ausscheiden sei „ein dramatisches Alarmsignal dafür, dass die EZB wieder auf den richtigen Weg geführt werden muss“, sagte der Präsident des Wirtschaftsrates der CDU Kurt Lauk. „Mit dem Rücktritt von Jürgen Stark verliert die EZB einen Stabilitätsgaranten. Dies erfüllt mich mit großer Sorge um die Stabilität in Europa, denn im Moment geht es genau darum diese zu sichern und zu festigen“, erklärte der Vorsitzende der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Markus Ferber.
Die ohnehin zittrigen Aktienmärkten hat der Rücktritt erneut in die Tiefe gezogen: Der deutsche Leitindex Dax verlor am Freitag mehr als 4 Prozent. Der Euro beschleunigte nach der überraschenden Ankündigung seine Talfahrt. Die Gemeinschaftswährung rutschte zwischenzeitlich unter die Marke von 1,37 Dollar und damit auf den tiefsten Stand seit Ende Februar dieses Jahres. Damit verlor der Euro im Verlauf der Woche mehr als vier Cent.
Mit dem Stark-Rücktritt nehme die Anzahl der Gegner der Anleihekäufe immer weiter ab, sagte Postbank-Chefvolkswirt Marco Bargel der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX. „Die Fortsetzung des Anleihenkaufprogramms wird mit Starks Rücktritt alles andere als unwahrscheinlicher“.
Die Notenbank hat derzeit Anleihen im Volumen von 129 Milliarden Euro aus Krisenstaaten in ihren Büchern. Kritiker werfen den Währungshütern vor, die klare Trennung zur Politik zu verwischen, indem sie Geld drucken, um die Staatspapiere zu kaufen - also um Schulden zu finanzieren. Die EZB weist dies zurück. Sie wolle mit dem Programm nur die Wirkung ihrer Geldpolitik sicherstellen.
Die heftige Kritik des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, die Notenbank sei von der Regierung Merkel beschädigt worden und „vom Stabilitätsanker zur europäischen Bad Bank geworden“, hatte Trichet vehement zurückgewiesen. „Wir sind aufgerufen, für 332 Millionen Menschen in 17 Ländern für Preisstabilität zu sorgen. Und das tun wir auch.“