Deutsches Staatsdefizit sinkt
Wiesbaden (dpa) - Der Aufschwung macht's möglich: Deutschland mausert sich vom Schuldensünder zum Musterschüler in Sachen Haushaltsdisziplin. Doch 2012 wird die deutsche Wirtschaft nur noch mit angezogener Handbremse vorankommen - und das Minus in den Kassen wohl nicht weiter sinken.
Dank der guten Konjunktur in Deutschland sank das Staatsdefizit im vergangenen Jahr auf 1,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das teilte das Statistische Bundesamt am Freitag in Wiesbaden mit. Auch der robuste Arbeitsmarkt hat die Kassenlage des Staates deutlich entspannt. Somit fiel das Minus von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung um 80 Milliarden Euro geringer aus als im Vorjahr. Der Schuldenberg wächst trotzdem weiter.
Inzwischen ist der Boom ausgebremst, der Defizitabbau dürfte 2012 also schwieriger werden als im dynamischen Vorjahr. Wie die Statistiker am Freitag bestätigten, stoppte die schwächelnde Weltkonjunktur zum Jahresende das zuvor rasante Wachstum. Preis-, saison- und kalenderbereinigt schrumpfte das BIP im vierten Quartal um 0,2 Prozent zum Vorquartal. „Angesichts einer hohen Kapazitätsauslastung befindet sich die Wirtschaft jedoch nicht in einer Rezession“, betonten Analysten der Bayern LB.
Im Vergleich zum Schlussquartal 2010 legte die Wirtschaftsleistung um 1,5 Prozent zu. Insgesamt war 2011 mit einem BIP-Wachstum von 3,0 Prozent ein sehr gutes Jahr für die deutsche Wirtschaft. Den Dämpfer zum Jahresende begründeten die Statistiker vor allem mit dem schwächelnden Außenhandel. Der private Konsum ging zurück, während der Staat seine Konsumausgaben zum Vorquartal leicht erhöhte.
Positive Impulse kamen von den Investitionen im Bausektor, dem der milde Herbst Auftrieb gab. Hingegen stagnierten die Investitionen in Maschinen und Fahrzeuge auf dem Niveau des dritten Vierteljahres. „Die Unternehmen dürften sich angesichts der Unsicherheit hinsichtlich der Staatsschuldenkrise in Europa und eingetrübter Aussichten für das weltweite Wachstum mit Investitionen zurückgehalten haben“, erklärte die Bayern LB.
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) kann sich jedenfalls über ungewohnt volle Kassen freuen: Erstmals seit 2008 hielt Deutschland wieder die Obergrenze des EU-Stabilitätspaktes ein, nachdem das Defizit auch wegen der Konjunkturpakete in den beiden Vorjahren deutlich höher ausgefallen war. In den Jahren 2009 (3,2 Prozent) und 2010 (4,3 Prozent) hatte Deutschland gegen die EU-Vorgaben verstoßen. Der Maastricht-Vertrag erlaubt höchstens 3,0 Prozent Defizit - einige Euroländer sammeln aber wesentlich mehr neue Schulden an.
Trotz der guten Defizit-Entwicklung sieht die Deutsche Bundesbank keinen Grund für Jubelsprünge: „Dies darf ... nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Mittelfristziel eines strukturell annähernd ausgeglichenen Staatshaushalts noch spürbar verfehlt wurde.“
2012 werde sich die Defizitquote vermutlich auf dem Niveau des Vorjahres bewegen, prognostizieren die Notenbanker. Dies aber auch nur, wenn der Konjunkturabschwung begrenzt bleibe und die Finanz- und Staatsschuldenkrise keine neuen Milliardenbelastungen erfordere.
Unter dem Strich stand 2011 ein Fehlbetrag von 25,8 Milliarden Euro. Das Minus fiel um fast eine Milliarde Euro niedriger aus als zunächst erwartet: Im Januar waren die Statistiker noch von einem Minus von 26,7 Milliarden Euro ausgegangen.
2010 hatte der Finanzierungssaldo von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung noch viermal höher gelegen: Der Kampf gegen die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise hatte ein riesiges Loch von 105,9 Milliarden Euro in die Staatskassen gerissen. Auch die Milliardenüberweisungen zur Bankenrettung fielen weg: Nach Angaben der Bundesbank hatten diese Transfers 2010 noch knapp 1,5 Prozent des BIP ausgemacht.
Bei der Schuldenquote verfehlt Deutschland die EU-Vorgaben noch immer meilenweit. Nach dem Rekordniveau von 83,2 Prozent ging der Schuldenstand in Prozent der Wirtschaftsleistung 2011 nach vorläufigen Zahlen der Statistiker zwar auf 81,7 Prozent zurück. Erlaubt sind aber nur 60 Prozent.
2012 dürfte die Dynamik in der deutschen Wirtschaft nachlassen, auch wenn die Konjunkturbarometer zuletzt wieder stiegen. Besonders optimistisch äußerte sich am Freitag die staatseigene Förderbank KfW. Sie erwartet schon im Frühling die Kehrtwende nach oben. „Wir sehen gute Chancen, dass die deutsche Wirtschaft die momentane Schwächephase zügiger als erwartet überwinden kann“, sagte KfW-Chefvolkswirt Norbert Irsch.
Für das Gesamtjahr prognostiziert die KfW ein Plus von 1,2 Prozent. Damit ist sie zuversichtlicher als das Gros der Institute. Erst am Vortag hatte die EU-Kommission ein Plus von nur 0,6 Prozent vorhergesagt. Als entscheidenden Wachstumstreiber sieht Irsch die steigende Binnennachfrage: „Angesichts niedriger und rückläufiger Arbeitslosigkeit, steigender Beschäftigung, höherer Löhne und unverändert geringer Zinsen sind die Voraussetzungen für eine anhaltende Binnendynamik weiterhin gut.“