Die Bahn kannte die Situation
Personalmangel und Nachwuchsgewinnung sind seit langem ein Thema im Konzern.
Berlin. Nach Mainz kommt alles auf den Prüfstand: Die laufende Personalplanung in jedem Betriebsteil, Überstunden, Urlaubsrückstände.
Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber war sich schnell mit Gewerkschaftsvertretern und Betriebsräten einig, dass es so nicht weitergehen kann.
Gewerkschaftschef Alexander Kirchner: „Wir haben die Reset-Taste gedrückt.“
Bis zum 15. Oktober soll nach der Vereinbarung bundesweit überprüft werden, wo Leute fehlen und wie der versprochene Überstundenabbau gewährleistet werden kann. Gegebenenfalls, so Webers Zusicherung, werde zusätzlich eingestellt.
Arbeitgebern wie Arbeitnehmern sitzt die Rufschädigung der vergangenen Tage in den Knochen. Der durch Personalmangel ausgelöste Ausfall eines einzigen Stellwerks hat den global agierenden Verkehrskonzern zur Lachnummer gemacht. Wieder einmal. Dabei ist der Eindruck, die Bahn habe die Situation verschlafen, falsch.
Im Gegenteil, kaum ein anderer Konzern hat sich zuletzt so intensiv mit der Frage beschäftigt, wie die Mitarbeiter gehalten und neue Fachkräfte gewonnen werden können. Seit drei Jahren ist die Bahn auf „Rekrutierungskurs“, wie Weber sagt.
So wurde eine bundesweite Werbekampagne gestartet, in der sich das Unternehmen als technologische Herausforderung anbot („Kein Job wie jeder andere“). Und es wurde eingestellt: 20 000 neue Mitarbeiter in den vergangenen zwei Jahren. Auch 2013 sollen es wieder 10 000 sein. Darunter 4000 Azubis.
Der Bahn ist ihr Alterungsproblem bewusst. 44 Prozent der 195 000 Beschäftigten in Deutschland sind über 50 Jahre alt. Bei der Anwerbung konkurriert das Unternehmen mit der freien Wirtschaft. Und die Bundeswehr spricht eine ähnliche Zielgruppe an.
Zentrales Instrument für die Beschäftigungssicherung ist ein neuartiger „Demografie-Tarifvertrag“, den das Unternehmen im April mit der Gewerkschaft EVG abgeschlossen hat und der als beispielhaft gilt. Offenbar war er aber noch zu frisch, um so etwas wie in Mainz verhindern zu können.
Das mit Anhang über 100 Seiten starke Werk verfolgt das erklärte Ziel, die Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden, die Arbeitsplätze attraktiv und familienfreundlich zu gestalten und eine qualifizierte Ausbildung zu bieten. Erklärtes Ziel ist es, bis zum Jahr 2020 zu den zehn „Top-Arbeitgebern“ in Deutschland zu gehören.