DIW sagt Nein zu Steuersenkung
Berlin (dpa) - Die deutsche Konjunktur bleibt nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Schwung. Nach einer leichten Abkühlung im zweiten Quartal erwarten die Experten aus Berlin 3,2 Prozent Wachstum im gesamten Jahr nach 3,6 Prozent 2010.
Die am Mittwoch vorgestellte DIW-Prognose liegt unter den Vorhersagen anderer Institute, die bis zu 4,0 Prozent reichen. Das DIW sieht für Steuersenkungen derzeit keinen Spielraum. In der Griechenland-Krise plädiert das Institut für einen Schuldenschnitt.
Der Aufschwung sei 2012 nicht zu Ende, auch wenn die Wachstumsrate im kommenden Jahr auf 1,8 Prozent sinken dürfte, sagte DIW-Forscher Simon Junker. Der Export als treibende Kraft werde zunehmend vom Inlandskonsum unterstützt.
Die Effektivlöhne werden nach der Prognose 2011 um 2,4 Prozent und 2012 um 2,8 Prozent steigen. Im nächsten Jahr wäre das etwa ein Prozent über der erwarteten Inflationsrate von 1,8 Prozent, entsprechend stiege die Kaufkraft. Angesichts der günstigen Umstände geht das DIW davon aus, dass sich die Konsumausgaben der privaten Haushalte in diesem und im nächsten Jahr um je 1,8 Prozent erhöhen werden.
Auch der Arbeitsmarkt werde sich weiter entspannen, sagte Junker. Allein in diesem Jahr kämen 500 000 Erwerbstätige hinzu, ihre Zahl klettere auf knapp 41 Millionen. Die Arbeitslosenzahl werde 2011 auf 2,97 Millionen (Quote: 7,0 Prozent) und 2012 nochmals auf 2,85 Millionen (Quote: 6,7 Prozent) sinken.
DIW-Konjunkturchef Ferdinand Fichtner sprach sich angesichts hoher Staatsschulden und kostspieliger Aufgaben gegen Steuersenkungen aus. Er verwies auf die Vorgaben der Schuldenbremse, die Belastungen durch die Euro-Rettung und Kosten der Energiewende. Jetzt Steuern zu senken, sei „kaum zu verantworten“, sagte er zu den vom Bundeskabinett beschlossenen Entlastungen bei Steuern und Sozialabgaben ab 2013. Deren Höhe soll erst im Herbst festgelegt werden.
Junker sagte, das Staatsdefizit werde in diesem Jahr voraussichtlich auf 1,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes fallen und 2012 sogar auf 0,9 Prozent. Dies sei allein der starken Konjunktur zu verdanken. Das Defizit, das nun noch übrig bleibe, sei ein strukturelles - und müsse von den Verantwortlichen in der Politik verringert werden, die dazu bisher kaum beigetragen hätten.
Im Fall Griechenlands hält das DIW weitere Kapitalspritzen nicht für zielführend. „Dass Griechenland seine Schulden aus eigener Kraft reduziert, halte ich nicht für machbar“, sagte der Konjunkturexperte. „Die Schulden fressen das Land letztlich auf.“ Angesichts eines Schuldenstands von 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts komme die Rettung zu spät. Griechenland brauche deshalb einen Schuldenschnitt, nur dann könne es sich wieder selbstständig von der Krise erholen.
Der DIW-Kuratoriumsvorsitzende Bert Rürup vertrat eine abweichende Meinung: Ein Schuldenschnitt würde zeigen, dass der Euro-Raum vor den Finanzmärkten „in die Knie gegangen“ sei. Der europäische Währungsverbund wäre dann dauerhaft angreifbar.