DIW-Studie: Deutsche Konzerne vermeiden Steuern in Milliardenhöhe
Berlin (dpa) - Deutsche Konzerne sparen einer Studie zufolge jährlich Milliarden Euro an Steuern, weil sie sich arm rechnen oder Gewinne ins Ausland verlagern.
Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) errechneten, dass zwischen den nachgewiesenen Profiten der Kapital- und Personengesellschaften und den steuerlich erfassten Gewinnen nach den letzten verfügbaren Zahlen aus dem Jahr 2008 eine Lücke von 91,9 Milliarden Euro klaffte.
Die Steuerbelastung der Unternehmen liege deutlich unter dem tariflichen Steuersatz, schrieb Finanzexperte Stefan Bach im DIW-Wochenbericht, der die Studie enthält. Zunächst hatte die „Welt“ (Dienstag) über die Studie berichtet, die beim Industrieverband BDI auf Kritik stieß.
„Sollte die Schätzung des Bruttoinlandsproduktes stimmen, zahlen die deutschen Unternehmen im Durchschnitt nur etwa 21 Prozent Steuern auf ihre Gewinne und damit deutlich weniger, als vom Gesetzgeber vorgesehen“, berichtete Bach. Zwar hätten die Kapital- und Personengesellschaften laut Studie zwischen 1992 und 2008 für rund 62 Prozent mehr Steuern aufkommen müssen. Da die Gewinne der Kapitalgesellschaften in dem Zeitraum jedoch um 140 Prozent zugenommen hätten, sei die Steuerbelastung prozentual deutlich zurückgegangen.
Bach stellte fest, dass besonders das hohe Niveau an steuerlichen Verlusten und Verlustvorträgen auffällig sei, das die Unternehmen vor sich herschleppten. Inzwischen seien es 568 Milliarden Euro, ein laut Bach auch international sehr hoher Wert. „Dies deutet auf Steuerbefreiungen, Steuervergünstigungen oder Gestaltungsmöglichkeiten hin, die systematisch zu deutlich reduzierten Besteuerungsgrundlagen führen.“ Bilanzierungsspielräume würden von den Unternehmen zunehmend ausgenutzt. Gewinne könnten etwa ins Ausland oder private Ausgaben in den Betrieb verlagert werden.
Der Steuerexperte des DIW räumte ein, dass die Zahl von 91,9 Milliarden Euro mit einigen Schätzfehlern behaftet ist. „Wir sind bei unseren Untersuchungen jedoch auf eine dauerhafte Besteuerungslücke gestoßen“, sagte er. So habe die Steuerlücke seit 2000 stets über 90 Milliarden Euro betragen. 2007 seien es sogar 120 Milliarden gewesen.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) kritisierte die Studie. „Falsche Thesen werden durch Wiederholung nicht richtiger“, sagte der Leiter der BDI-Abteilung Steuern und Finanzpolitik, Berthold Welling. Bereits 2007 habe das DIW ähnliche Zahlen veröffentlicht. Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, auf der die Zahlen des DIW fußen, erlaubt Welling zufolge keinen Rückschluss auf Steuerquoten.
Aus Expertensicht ist die Suche von börsennotierten Konzernen nach legalen Steuertricks gerechtfertigt. Der Düsseldorfer Strafrechtsexperte Professor Jürgen Wessing sagte am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa, dass Manager grundsätzlich verpflichtet seien, so viel vom Vermögen ihrer Gesellschaft zu schonen wie möglich. Moralische Erwägungen spielten dabei keine Rolle. „Ein Vorstand, der wissentlich einen legalen Steuervorteil nicht nutzt, macht sich strafbar. Das ist Untreue“, so Wessing.
Wer Unternehmen dafür kritisiere, dass sie versuchten Steuern zu sparen, müsse sich vor allem an die Politik wenden, sagte Wessing. „Nur der Gesetzgeber kann das ändern. Die Steuergesetze sind schließlich nicht vom Himmel gefallen.“ Für Manager sei die Lage angesichts der komplizierten Steuergesetze ohnehin schwierig. „Wirtschaftsführer haben heute ein ganz anderes Verhältnis zum Strafrecht als noch vor Jahren.“ Schuld daran seien stetig komplexer werdende gesetzliche Regelungen.
Wessing mahnte die Politik, das Steuerrecht deutlich zu vereinfachen. Jenseits davon gebe es kaum Möglichkeiten, die Steuersparmodelle zu verhindern. Eine Ausnahme: „Die Aktionäre könnten allerdings auf einer Hauptversammlung festlegen, dass die Gesellschaft bestimmte Steuerschlupflöcher nicht nutzen soll.“