Eingenähte Zettel: Modekette Primark am Pranger
Angebliche Hilferufe von Arbeitern über in der Kleidung eingenähte Etiketten. Firma spricht von „Kampagne“.
London. Kreischende Teenager, Berge von liegengelassenen Klamotten auf dem Fußboden, durcheinandergewühlte Auslagen, dröhnende Musik aus den Lautsprechern: Wer an einem Samstagvormittag eine Filiale von Primark betritt, muss starke Nerven haben. Oder ein Teenager sein, der sich gerade auf die Jagd nach dem neuesten Mode-Schrei zum Taschengeld-Preis begeben hat. Die britisch-irische Modekette, bekannt für Up-to-date-Ware zum absoluten Tiefstpreis, ist zum Synonym für Modefetischismus junger Leute geworden.
Dass der Run auf die Billig-Anziehsachen auch eine dunklere Seite hat, wurde spätestens im April 2013 deutlich. Damals brach in Bangladesh eine mehrstöckige Textilfabrik in sich zusammen, in der Arbeiterinnen und Arbeiter zu Billigstlöhnen Kleidung herstellen mussten — mehr als 1100 Menschen starben. Sie hatten auch für Primark gefertigt. Das Unternehmen zahlte eigenen Angaben zufolge mehr als zwölf Millionen US-Dollar in einen Fonds zur Entschädigung für Opfer und Hinterbliebene.
Jetzt hat die Diskussion aber neue Nahrung bekommen: In Wales und Nordirland berichteten Kunden von Hilferufen, die in Kleider und Hosen eingenäht waren. „. . .forced to work exhausting hours“ (etwa: . . .zur Arbeit bis zur Erschöpfung gezwungen. . .“, stand auf einem der Zettel in englischer Sprache. „Degrading working conditions“ („erniedrigende Arbeitsbedingungen“) auf einem anderen.
Ob die Zettel tatsächlich Hilferufe von Arbeitern sind, konnte bislang nicht zweifelsfrei geklärt werden. Tatsächlich stellen sich Fragen: Können Textilarbeiter in Bangladesch eingenähte, in vergleichsweise gutem Englisch verfasste Zettel durch Kontrollen bis zum Endverbraucher schmuggeln?
Dennoch lautet die Frage, die etwa in Sozialen Netzwerken derzeit häufig gestellt wird: „Wie billig darf Mode sein?“ Primark bietet Kleider für weniger als fünf Euro und ganze Outfits, teils mit Schuhen, für weniger als 50 Euro an. Während etwa in punkto Ernährung bei vielen Verbrauchern durchaus ein Sinneswandel hin zu qualitativ hochwertiger Erzeugung eingetreten ist, scheinen diese Sensoren beim Thema Mode nicht selten völlig auszusetzen.
„Bewusster Konsum hat sich in der Modebranche nicht allzu viel Weg gebahnt“, schreibt die britische „Guardian“-Kommentatorin Susanna Rustin. Die Zeitung zitiert anonym einen Top-Manager einer großen Modekette, der es klar sagt: „Den Konsumenten juckt es nicht.“ Alle Marktforschungen hätten ergeben, dass der Preis alles schlägt und die Frage nach Menschenrechten für den Konsum nicht ausschlaggebend ist.
Primark bezweifelt, dass die Zettel echt sind und vermutet eher eine Kampagne. Das Unternehmen beteuert, seine Zulieferer regelmäßig und flächendeckend zu inspizieren. Der Lieferant, der die Hose aus Nordirland mit dem eingenähten Zettel hergestellt hatte, sei allein neunmal aufgesucht worden. „Keine Gefängnisarbeit oder andere Art von Zwangsarbeit wurde dabei gefunden“, heißt es.