Einkommen: Deutsche Chefs liegen vorn
Das Argument, dass die Unternehmenslenker hierzulande Nachholbedarf hätten, stimmt nicht mehr. Debatte um Grenzen wird neu geführt.
Frankfurt. An Stammtischen und im Wahlkampf wird das Thema gerne strapaziert: Millionengehälter für Manager. Verdient Volkswagen-Lenker Martin Winterkorn wirklich 17,5 Millionen Euro? Warum kassieren Investmentbanker Millionen, obwohl manche von ihnen das Weltfinanzsystem an den Rand des Abgrunds zockten? Ist es gerecht, dass ein Dax-Vorstand 54 Mal so viel verdient wie ein durchschnittlicher Angestellter?
Jahrelang argumentierte die Industrie, Unternehmen in Deutschland müssten bei der Bezahlung ihres Spitzenpersonals mit dem Ausland Schritt halten, um nicht die besten Köpfe zu verlieren. Als im Frühjahr eine Debatte aufkam, ob die Vorstände der teilverstaatlichten Commerzbank wieder mehr als 500 000 Euro im Jahr erhalten dürfen, verteidigte Aufsichtsratschef Klaus-Peter Müller das Ende der Gehaltsbegrenzung: Die Bank müsse eine dauerhaft wettbewerbsfähige Vergütung bieten, um für gute Manager attraktiv zu sein.
Das Argument zieht nicht mehr, schaut man sich die jüngsten Zahlen an, die das Beratungshaus ECGS (Expert Corporate Governance Service) zusammengetragen hat. „Wenn wir uns die Vergütungen anschauen, dann liegt Deutschland da an zweiter Stelle. Da sind die Deutschen recht wettbewerbsfähig, nachdem sie sich jahrelang beschwert haben, dass sie im internationalen Vergleich zu wenig verdienen“, stellte Jella Benner-Heinacher, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), in Frankfurt fest. Der Studie zufolge kassierten Deutschlands Top-Manager im Schnitt 4,3 Millionen Euro für das Jahr 2011. Besser standen in den 14 untersuchten Ländern nur ihre britischen Kollegen da.
Aktionärsschützer sehen sich genötigt, die Aufsichtsräte der Unternehmen an ihren Kontrollauftrag zu erinnern: „In Zukunft ist der Aufsichtsrat gefordert, dass er schaut, dass bestimmte Grenzen nicht überschritten werden. Wir haben einen sozialen Frieden in Deutschland, den wollen wir erhalten. Darum ist es wichtig, dass die Schere zwischen einfachen Mitarbeitern und Führungskräften nicht zu weit auseinandergeht“, mahnt Benner-Heinacher.
Kann ein Mensch überhaupt so viel leisten, dass das — wie im Fall von VW-Chef Winterkorn — inklusive Nachzahlung für das Vorjahr — 17,5 Millionen Euro wert ist? Angesichts solcher Dimension schüttelt auch mancher Unternehmer den Kopf. Lutz Goebel, Präsident der Familienunternehmer, meinte in der Diskussion um Winterkorns Gehalt Anfang dieses Jahres: Bei fünf Millionen Euro müsse Schluss sein, dafür bekomme man alle guten Leute.
In der Finanzbranche, die seit Jahren am Pranger steht, hat ein Umdenken begonnen. Die Deutsche Bank lässt ihr Vergütungssystem von einer externen Kommission durchleuchten. Co-Chef Jürgen Fitschen betont, es gehe um einen neuen Kompass für eine gescholtene Branche.
Interne Lösungen statt Gesetzeskeule — das ist auch nach Einschätzung der DSW der gangbarere Weg. „Wir sind immer noch der Meinung, dass der Aufsichtsrat das richtige Gremium dafür ist“, erklärt Benner-Heinacher. Nach ihrem Dafürhalten müsste jeder Aufsichtsrat für sein Unternehmen Gehaltsdeckel einziehen. Von US-amerikanischen Verhältnissen sind die meisten Unternehmenschefs in Deutschland jedenfalls noch meilenweit entfernt: Dort verdienten Konzernbosse 2011 mehr als zwölf Millionen Euro — im Schnitt.