Energieversorger proben den Aufstand: Kraftwerke stilllegen?
Bis zu 20 Prozent der Kraftwerke sollen mangels Rentabilität stillgelegt werden. Besonders in Süddeutschland dürfte das größere Befürchtungen auslösen.
Essen/Berlin. Die Stromerzeuger fahren schwere Geschütze auf: Bis zu ein Fünftel der Gas- und Kohlekraftwerke, die sich wegen der Energiewende nicht mehr rentieren, könnten dichtgemacht werden, drohte ein Vorstand einem Medienbericht zufolge. Ankündigungen, einzelne Stromblöcke abzuschalten, gibt es schon lange bei fast allen Versorgern, aber dieser Umfang ist neu. Vor allem in Süddeutschland dürfte das Sorgen auslösen. Dort steht die Mehrzahl der Atomkraftwerke, die schrittweise vom Netz gehen — wie 2015 das Eon-Atomkraftwerk Grafenrheinfeld.
Schneller Ersatz durch Windstrom aus dem Norden ist wegen des langsamen Leitungsausbaus nicht zu erwarten — auch wenn die Politik für Stromautobahnen wie die „Thüringer Strombrücke“ zur Versorgung Bayerns noch so heftig wirbt.
Die für die Versorgungssicherheit zuständige Bundesnetzagentur betont zwar, dass die Kapazitäten völlig ausreichend sind: Auf dem Papier stand 2012 jederzeit rund zehn Prozent mehr konventionell erzeugter — also ständig verfügbarer — Strom zur Verfügung als maximal verbraucht wurde. Hinzu kommen noch die Kapazitäten an Erneuerbaren, die an manchen Tagen zur Mittagszeit den bundesweiten Verbrauch ganz allein decken könnten.
Doch was ist nachts und wenn der Wind ruht? Nicht umsonst hat die Bonner Behörde im Juni für Süddeutschland ein Stilllegungsverbot für konventionelle Anlagen angekündigt. „Wenn in Süddeutschland noch mehr Kraftwerke vom Netz gehen, wäre das für die Sicherheit der Stromversorgung nicht günstig“, sagt ein Sprecher des Netzbetreibers Amprion vorsichtig.
Nach Angaben des Versorgerverbandes BDEW sind zurzeit fast 80 größere Anlagen mit einer Gesamtleistung von beinahe 40 Gigawatt in Planung, genehmigt, im Bau oder im Probebetrieb. Aber inzwischen sei bei fast einem Drittel dieser Projekte der Zeitpunkt der Inbetriebnahme unklar — vor allem für Anlagen, die nach 2015 umgesetzt werden sollen. Die Branche stoppt, rudert zurück und fühlt sich dabei im Recht. Noch vor wenigen Jahren hatte der Staat sie immer wieder zu Investitionen ermuntert. Zahlreiche milliardenschwere Kraftwerksprojekte wurden beschlossen, die jetzt angesichts des stark gefallenen Börsenstrompreises hohe Verluste produzieren.
Kritiker werfen den Versorgern dagegen politische Stimmungsmache mit den Ängsten der Verbraucher vor: „Um Druck für neue Subventionen zu erzeugen, malen die Stromkonzerne in Deutschland wieder einmal den Teufel ,Blackout’ an die Wand“, kritisiert Greenpeace. Die Energie-Expertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert, nannte Blackout-Ängste „abwegig“.
Einig sind sich alle Lager in der Forderung nach einem neuen „Marktdesign“ — die erneuerbaren Energien müssten bei einem Marktanteil von inzwischen 25 Prozent ihren zum Start sinnvollen Sonderstatus teilweise verlieren. Doch wie soll das funktionieren, ohne Vertrauen des Marktes zu zerstören? Das wird eine der schwierigsten Aufgaben der neuen Bundesregierung.