EU-Gipfel kürt Draghi zum neuen „Mr. Euro“

Brüssel (dpa) - Nach einem erbitterten Tauziehen hat der EU-Gipfel den Italiener Mario Draghi (63) zum neuen Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) ernannt.

Zuvor musste sein Landsmann Lorenzo Bini Smaghi zusichern, seinen Sitz im Direktorium der Bank zu räumen. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy wollte es nicht hinnehmen, dass künftig zwei Italiener in der Chefetage der Bank sitzen könnten, während sein Land nach dem Ausscheiden von EZB-Chef Jean-Claude Trichet nicht mehr vertreten gewesen wäre.

Draghi ist der dritte Chef der noch jungen Notenbank nach dem Niederländer Wim Duisenberg und Trichet. Der Gipfel beschloss am Freitag in Brüssel, dass der bisherige Chef der Banca d'Italia sein Frankfurter Amt am 1. November antreten wird. Die Amtszeit läuft über acht Jahre. Trichet scheidet Ende Oktober turnusmäßig aus.

Sarkozy bestätigte das entscheidende Telefonat während des Gipfels: „Bini Smaghi hat mich angerufen, um mir zu sagen, dass er vor Jahresende eine neue Funktion übernehmen wird.“ Auch Gipfelchef Herman Van Rompuy sprach mit dem Banker als Florenz. „Es liegt an Bini Smaghi, über den Zeitplan zu entscheiden.“ Diplomaten berichteten am Rande des Gipfels, Van Rompuy habe sich auch mit dem italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi zusammengesetzt, um den Streit zu lösen.

Die EZB ist eigentlich eine unabhängige Einrichtung. Die Politik darf den Direktoriumsmitgliedern daher nicht vorschreiben, ihren Posten zu räumen. „Ich glaube, dass die Unabhängigkeit der EZB voll gewahrt ist“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Turnusmäßig wäre Bini Smaghi erst 2013 aus dem Gremium ausgeschieden. Hätte er den Rückzug abgelehnt, hätte die Gipfelrunde wohl die verbindliche Ernennung Draghis aufgeschoben, sagten Diplomaten. Die Amtszeiten der Mitglieder des Direktoriums sind laut Statut der Notenbank auf acht Jahre begrenzt. Die EU-Finanzminister müssen die Benennung Draghis noch im Juli förmlich bestätigen.

Draghi - nach Trichet nun der neue „Mr. Euro“ - war der einzige Kandidat für den Posten. Wie sein Vorgänger wird auch Draghi eine zentrale Rolle mitten in der schweren Schuldenkrise spielen, die derzeit Griechenland und andere Euroländer wie Portugal oder Irland erschüttert. Der EZB-Chef ist verantwortlich für die Stabilität der gemeinsamen Währung - alle Euro-Banknoten tragen seine Unterschrift.

„Wir sind alle sicher, dass Herr Draghi die EZB stark und unabhängig führen wird“, sagte Van Rompuy. „Das ist in normalen Zeiten notwendig, und in schweren Zeiten unverzichtbar.“

Gegen den 63-Jährigen waren in den vergangenen Jahren immer wieder Vorwürfe laut geworden, die auf seine Zeit als Manager bei der US-Investmentbank Goldman Sachs zurückgehen. Dem Geldhaus wird vorgeworfen, vor Jahren Griechenland bei der Verschleierung des hohen Haushaltsdefizits geholfen zu haben. Draghi hatte Vorwürfe in diesem Zusammenhang stets zurückgewiesen.