Europas Banken haben Loch von fast 115 Milliarden
London/Frankfurt (dpa) - Der Stresstest legt den gigantischen Kapitalbedarf bei Europas führenden Banken offen: In der Euro-Schuldenkrise fehlen den Instituten fast 115 Milliarden Euro.
Allein die sechs deutschen Institute Deutsche Bank, Commerzbank, DZ Bank, Helaba, WestLB und NordLB brauchen 13,1 Milliarden Euro Kapital, um sich für eine Verschärfung der Krise zu wappnen. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel ringen die Staats- und Regierungschefs derweil um eine dauerhafte Lösung zur Begrenzung der Staatsschulden und damit um die Rettung des Euro.
Mit dem beim EU-Gipfel Ende Oktober beschlossenen Test wollte die Politik Vertrauen der Märkte in die Stabilität der Banken zurückgewinnen. Doch Kritiker befürchten, dass die jüngsten Ergebnisse und die immer wieder verschobene Veröffentlichung den Stress für die Banken noch verschärft. Denn durch die Zuspitzung der Schuldenkrise kommen viele Banken kaum noch an frisches Geld.
Vor allem der Wertverlust der Staatsanleihen brennt den Banken auf den Nägeln. Im jüngsten Stresstest sollten sie die von ihnen gehaltenen Staatstitel zu aktuellen Marktpreisen bewerten und nachweisen, dass sie auf eine harte Kernkapitalquote von neun Prozent kommen - der Puffer, um laut EBA Krisenzeiten zu überstehen. Doch 31 von 65 der größten Banken in Europa (ohne Griechenland) fielen durch.
In Deutschland hat den größten Bedarf mit 5,3 Milliarden Euro wie erwartet die stark in den Euro-Schuldenländern engagierte Commerzbank. „Wir haben weiterhin nicht vor, zusätzliche öffentliche Mittel in Anspruch zu nehmen“, sagte Finanzchef Eric Strutz der teilverstaatlichten Bank zu den Ergebnissen. Die Bank will Bilanzrisiken um 30 Milliarden Euro herunterschrauben, Randgeschäfte verkaufen und Gewinne einbehalten. Zudem dürfen einzelne Geschäftsfelder derzeit keine Kredite mehr vergeben. Ein Rückkauf von Hybridanleihen läuft bei der Commerzbank bereits. Der Deutschen Bank, die keine Probleme sieht, die Lücke aufzufüllen, fehlen 3,2 Milliarden Euro.
Kapitalbedarf haben auch die genossenschaftliche DZ Bank (353 Mio Euro) sowie die Landesbanken Helaba (1,5 Mrd Euro), NordLB (2,5 Mrd Euro) und WestLB (224 Mio Euro). Die WestLB stand nur noch pro forma auf der Liste der 13 deutschen Banken. Die Zerschlagung des Düsseldorfer Instituts ist längst beschlossene Sache.
Wie die Institute die Lücken schließen wollen, sollen sie bis zum 20. Januar bei den nationalen Aufsichtsbehörden erklären. Bis Ende Juni haben sie dann Zeit, diese Pläne umzusetzen. Können sie die Kapitalpuffer nicht aus eigener Kraft bis Ende Juni 2012 verstärken, drohen notfalls Staatshilfen.
Die EBA ließ letztlich die zumeist schlechten Geschäftsergebnisse aus dem dritten Quartal einfließen, setzte strengere Maßstäbe für Risikoanlagen an und schränkte die Verrechnung von Gewinnen und Verlusten bei Staatsanleihen ein. Die härteren Vorgaben bekamen besonders die deutschen Geldhäuser zu spüren. Europaweit erhöhte sich der Kapitalbedarf im Vergleich zu den ursprünglichen Annahmen nur um rund 8 Milliarden auf 114,7 Milliarden Euro.
Bundesbank und Bafin erklärten, teilweise sei der Kapitalbedarf der deutschen Institute bereits gedeckt: So haben die Träger der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) und der NordLB längst Maßnahmen zur Kapitalstärkung beschlossen. Diese werden erst Ende 2011 wirksam - und wurden von der EBA wegen des Stichtags 30. September nicht anerkannt.
Besonders hohen Kapitalbedarf haben Banken in europäischen Krisenländern wie Spanien mit 26,170 Milliarden Euro und Italien mit 15,366 Milliarden Euro. Die größte Lücke aller untersuchten Banken weist laut EBA-Liste die spanische Bank Santander mit 15,302 Milliarden Euro auf. Frankreichs Institute wiederum benötigen demnach 7,324 Milliarden Euro. Portugal wird mit einem Bedarf von 6,950 Milliarden Euro aufgeführt.
„Der Stresstest hat sein vorrangiges Ziel, Vertrauen in den Märkten zu schaffen, nicht erfüllt“, befand der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Öffentlicher Banken (VÖB), Hans Reckers. Michael Kemmer vom Privatbankenverband BdB sprach von einem „chaotisch wirkenden Prozess“. Die Märkte seien durch die EBA hochgradig verunsichert worden.
Die Europäische Zentralbank (EZB) zeigte sich am Donnerstag entschlossen gegenzusteuern. Sie senkte den Leitzins auf einen historischen Tiefstand von 1,0 Prozent, ein Viertel Prozentpunkt weniger als zuvor. Ein ganzes Maßnahmenpaket soll den von Staatsschulden- und Vertrauenskrise gebeutelten Banken wieder auf die Beine helfen und die Wirtschaft stützen. Doch die Währungshüter lehnten eine Ausweitung ihrer umstrittenen Käufe von Staatsanleihen der Euro-Krisenländer nicht aus.