Fachkräftemangel Warum ein Handwerker das Handwerk kritisiert
Düsseldorf · Schlechte Bezahlung, unternehmerisches Risiko, Ungewissheit im Alter - Das Handwerk beklagt den Fachkräftemangel, unterlässt selbst aber das Nötige, um den Beruf für junge Leute attraktiver zu machen. Das sagt Tischlermeister Thomas Scheurer.
Thomas Scheurer ist Tischler. Handwerksmeister. Seinen Meisterbrief hat der knapp 60 Jahre alte Erkrather 1993 gemacht. Er weiß, wovon er redet, wenn er zwar nicht seinen eigenen Beruf als solchen kritisiert, wohl aber die Rahmenbedingungen und die Versäumnisse, die sich Gesetzgeber, aber auch das Handwerk selbst zuschulden kommen lassen. Wenn sie einerseits den großen Fachkräftemangel beklagen, andererseits aber nicht wirksam gegensteuern. Scheurer klingt verbittert, aber doch auch kampfeslustig, als er sich im Gespräch mit dieser Zeitung in Rage redet.
Die Probleme, die das Handwerk bei der Rekrutierung von Nachwuchs hat, zeigten doch nur zu deutlich, dass etwas mit der Attraktivität des Berufs nicht stimme. Da sei es nur allzu verständlich, dass viele junge Leute nicht den Handwerksberuf ergreifen möchten.
„Wie soll ein Handwerker in einem körperlich anstrengenden Beruf alt werden?“, fragt Scheurer. Für angestellte Handwerker sei die Rente mit 67 eine Utopie und eine Rentenkürzung durch die Hintertür. Es gebe keine Regelung für die Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit im Alter, weder vom Gesetzgeber noch von den Kammern oder Innungen. Weil die meisten Handwerksbetriebe Klein- und Kleinstbetriebe ohne Kündigungsschutz für ältere Mitarbeiter seien, drohe angestellten Gesellen die Arbeitslosigkeit oder Frührente mit Altersarmut. Auch eine finanzielle Vorsorge sei bei den Löhnen in den meisten Gewerken nicht möglich. „Die sind froh, wenn sie sich und ihre Familie über die Runden bringen können“, sagt Scheurer. Warum, so fragt er, sollten Jugendliche den Handwerksberuf ergreifen, wenn sich doch im Büro erheblich leichter das Geld verdienen lasse?
Welche Auswirkungen der Fachkräftemangel im Handwerk bei gleichzeitig hoher Auslastung schon jetzt auch für den Kunden hat, zeigen die jüngsten Veröffentlichungen des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), wonach Kunden im Durchschnitt fast zehn Wochen auf den Handwerker warten. In den Bau- und Ausbauhandwerken liege die Zahl noch darüber.
Das Handwerk muss beim Nachwuchs selbst aktiv werden
Tischlermeister Scheurer sieht das Handwerk selbst in der Pflicht. „Mit Speck fängt man Mäuse“, sagt er und meint damit, dass das Handwerk seinem Personal mehr bezahlen müsse. „Aber die Arbeitgeber jammern lieber und rufen nach billigen Fachkräften aus dem Ausland. Sie sollten der Leistung und Qualifikation entsprechende Löhne anbieten, dann finden sich auch genügend Auszubildende.“
Doch schon der kürzlich bekannt gewordene Plan der Bundesregierung, dass es ab 2020 einen Mindestlohn von 515 Euro für Auszubildende im Handwerk geben soll, sorgte für Widerstand im Handwerk. Der ZDH warnte vor einem Eingriff in die Betriebs- und Tarifautonomie. Ein Mindestlohn werde gerade kleine Betriebe in strukturschwachen Regionen besonders belasten.
Auch die Zukunftsaussichten nach absolvierter Lehre sieht Tischlermeister Scheurer alles andere als rosig. Vielen sei nicht klar, wie viel man da selbst investieren müsse.
„Wer heute eine Tischlerei aufmachen will, muss bereit sein, bei einem Neubetrieb im Minimum 250 000 Euro zu investieren. Allein eine Kreissäge koste doch schon 30 000 Euro. Und die Kosten für eine Betriebsübernahme lägen auch nicht viel darunter. Ihn selbst habe sein Meistertitel im Jahr 1993 unter dem Strich 40 000 DM gekostet. Das so investierte Geld sei erst nach Jahren wieder eingespielt.
Was kostet eigentlich eine Meisterprüfung? Und was kostet es, wenn man einen eigenen Betrieb aufmachen möchte? Wir haben bei der Handwerkskammer Düsseldorf nachgefragt. Nach deren Angaben liegen die Kosten für Meisterschule und Meisterprüfung zwischen 4700 Euro (Fleischer) und 12 970 Euro (Zahntechniker). Der Preis richte sich nach der Anzahl der Unterrichtsstunden.
Von diesen Gebühren erhalte der Meisterschüler einen Zuschuss von rund 64 Prozent. Der Fleischermeister investiere also 1692 Euro und der Zahntechnikermeister 4670 Euro in seine Fortbildung. Ein Tischler kommt für seine Meisterprüfung abzüglich Zuschüssen auf 4757 Euro. Mache sich ein frischgebackener Meister selbständig, winkten weitere Zuschüsse, betont die Handwerkskammer.
Aber sich selbstständig zu machen, birgt ein großes finanzielles Risiko, warnt Tischlermeister Scheurer. Auch die Handwerkskammer sieht hier durchaus hohe Kosten auf den Handwerker zukommen. Wer gleich mit einer Tischlerei zur Möbelproduktion starten und alle Maschinen und Geräte für jeden Auftrag bereithalten will, brauche schon für die Grundausstattung der Werkstatt als Startkapital etwa 350 000 Euro. Vergleichsweise bezahlbar seien da Konzepte, die sich zunächst auf Reparaturen und Spezialaufträge beschränken und so den Maschinen- und Gerätepark begrenzen.
Handwerkspräsident Wollseifer sieht die Politik in der Pflicht
Handwerk hat goldenen Boden, so lautet ein altes Sprichwort. Geld verdienen lässt sich durchaus, insbesondere angesichts der schon seit Jahren anhaltenden stabilen Nachfrage, die die „Spielräume für Preisanpassungen“ erhöhen, wie der Zentralverband des Deutschen Handwerks formuliert. Im Klartext: Den Kunden kann mehr in Rechnung gestellt werden. Und doch ändert das nichts an dem Problem, dass dem Handwerk Personal fehlt.
Bei einem Pressegespräch im Düsseldorfer Landtag sagte ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer kürzlich, dass dem deutschen Handwerk eine Viertel Million Facharbeiter fehlen. Er wolle kein „Akademikerbashing“ betreiben, aber es dürfe nicht sein, dass so viele Jugendliche ins Studium drängten, während das Handwerk händeringend gute Fachkräfte suche. Wollseifer sieht dabei auch die Politik in der Pflicht. So wie es einen Hochschulpakt gebe, müsse auch das berufliche Bildungssystem besser gefördert werden. Und es müsse eine Berufsorientierung an allen allgemeinbildenden Schulen geben. Diese sollten die Schüler eben nicht nur fürs Studium qualifizieren.
Auch die Satiresendung „Heute-Show“ hatte das Thema unlängst aufgegriffen und erdachte einen knackigen Slogan, mit dem Abiturienten statt auf die Universität ins Handwerk gelockt werden könnten: „Dübeln statt grübeln“.