Nachwuchs im Handwerk Handwerkspräsident Wollseifer: "Die jungen Flüchtlinge sind sehr ehrgeizig"

Berlin. Handwerkspräsident Wollseifer entdeckt auf der Suche nach Azubis auch die Asylbewerber - und appelliert an die Politik. Vom Handwerk versteht Hans Peter Wollseifer was, er hat selbst Maler gelernt und einen Betrieb in Köln-Hürth, den er auch als Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) nebenher weiter betreibt.

Um den Fachkräftebedarf zu decken, plädiert Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes Deutsches Handwerk, für eine qualifizierte Zuwanderung. Foto: Archiv

Foto: Britta Pedersen

Mit unserem Berliner Korrespondenten Werner Kolhoff sprach der 60jährige über die Sorgen seiner Branche - und die Chancen, die Flüchtlinge ihr bieten könnten.

Findet das Handwerk noch genügend Nachwuchs?

Hans Peter Wollseifer: Es wird zunehmend schwieriger, uns fehlen jährlich 20.000 Auszubildende.

Hat Handwerk keinen goldenen Boden mehr?

Wollseifer: Es gibt aufgrund der demografischen Entwicklung einfach insgesamt wesentlich weniger Schulabgänger, 150.000 weniger als vor zehn Jahren. Und immer mehr streben nach einem Bildungsabschluss, der vermeintlich alle Chancen bietet: Abitur und Studium.

Weil das höhere Einkommen und spannendere Tätigkeiten verheißt?

Wollseifer: Ich habe mit 21 das Studium abgebrochen und den Familienbetrieb übernommen. Es war nie langweilig! Und auf die Lebensarbeitszeit gerechnet ist das Einkommen eines Meisters im Handwerk absolut gleich mit dem eines Bachelor-Absolventen. Ein Meister wird aber statistisch gesehen seltener arbeitslos als ein Akademiker. Und was die Attraktivität der Arbeit angeht: Im Handwerk gibt es über 130 Berufe, technische, kreative, innovative. Es gibt nicht nur die Industrie 4.0, es gibt längst auch das Handwerk 4.0 mit einem hohen Grad der Digitalisierung.

Wie wollen Sie mehr Interessenten finden?

Wollseifer: Zusammen mit der Bundesbildungsministerin arbeiten wir an einer Initiative Höhere Berufsbildung. Wir bieten in diesem Rahmen duale Studiengänge an, sogar triale, wo man innerhalb von viereinhalb Jahren den Gesellen- und Meisterabschluss machen kann und noch den Bachelor in Betriebswirtschaft dazu. Außerdem werben wir dafür, dass insbesondere an den Gymnasien die Berufsorientierung verstärkt und nicht nur Studienberatung betrieben wird.

Könnten Sie Ihren Nachwuchsbedarf aus den in Deutschland lebenden Jugendlichen decken, wenn diese Anstrengungen alle funktionieren würden?

Wollseifer: Ganz klar nein, auch dann nicht. Wir brauchen, um den Fachkräftebedarf zu decken, eine qualifizierte Zuwanderung. Dazu zählen für mich auch Menschen, die wir noch qualifizieren müssen. Die Voraussetzung ist nur, dass sie motiviert und fähig sind zur Weiterbildung.

Sind die Flüchtlinge da für Sie eine interessante Zielgruppe?

Wollseifer: Ja. Es kommen ja meist junge Familien und junge Leute, die allein einreisen. Vor allem die Menschen, die aus Kriegsgebieten kommen, sind sehr ehrgeizig. Viele bringen einen hohen Bildungsstand oder handwerkliche Vorbildung mit. Wir können sie gut in die Betriebe integrieren.

Gibt es politische Hemmnisse? Was erwarten Sie von der Politik?

Wollseifer: Es gibt zwar Verbesserungen, aber die jungen Flüchtlinge kommen noch nicht schnell genug in eine Ausbildung oder Arbeit. Der Sprachunterricht muss früher beginnen. Die Vermittlung muss besser organisiert und gefördert werden. Schließlich brauchen wir einen sichereren Rechtsrahmen für Flüchtlinge, die in Ausbildung sind. Der Bundestag hat vor der Sommerpause beschlossen, dass diese jungen Menschen jedes Jahr eine neue Duldung beantragen müssen. Eine Ausbildung dauert aber drei Jahre und nicht dreimal ein Jahr. Die Betriebe, die in diese jungen Menschen investieren, brauchen mehr Sicherheit. Sie wollen die jungen Gesellen nach der Ausbildung auch wenigsten zwei Jahre als Facharbeiter weiterbeschäftigen.

Finden Sie mit dieser Einstellung Zuspruch?

Wollseifer: Bei unseren Mitgliedsbetrieben ja. Sie sind es gewohnt, in der Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen. Sie tun das beim THW, in den Freiwilligen Feuerwehren, in Vereinen und Kirchen. Sie wollen auch angesichts der jetzigen dramatischen Lage helfen. Allerdings erhalten wir aus Randbereichen der Gesellschaft jetzt durchaus Mails und Briefe, die uns in ihrer Aggressivität manchmal verwundern.

Was antworten Sie denen?

Wollseifer: Dass sie mal innehalten und überlegen. Hilfeleistung ist ein überragender menschlicher Wert. Und die Wirtschaft halten wir nur am Laufen mit Zuwanderung. Im Übrigen hat die Bundesrepublik Flüchtlingen immer geholfen und sie integrieren können.