„Treffpunkt feiner Geister“ Horst Lüning: Der YouTube-Star der Whisky-Fans
Was Dagi Bee und Bibis Beauty Palace bei Instagram für junge Mode sind, ist der Luft- und Raumfahrttechnik-Ingenieur Horst Lüning bei Youtube mit seinem „Treffpunkt feiner Geister“ für den männlichen Ü40-Trinker.
Seeshaupt. Wer mit den Jahren, in denen die Partys nicht mehr und in Wahrheit auch nicht besser werden, zu der Erkenntnis gelangt, dass das Leben zu kurz und zu schade ist, um etwas Schlechtes zu trinken, und dass es jenseits des 40. Lebensjahres neben modischen Gins und Wodkas doch etwas Besseres als Jim Beam oder Ballantines geben muss (also schottischen Single Malt), landet fast zwangsläufig im Keller von Horst Lüning, dem „Treffpunkt feiner Geister“. Zumindest virtuell.
Dort sitzt der studierte Maschinenbauer seit zehn Jahren in Hunderten von Videos neben einem ausrangierten Whisky-Fass vor einer mit Schottenmuster-Tartan bespannten Wand und trinkt sich durch die Produktion von mehr als 100 schottischen Whisky-Brennereien. Das könnte eine fröhliche Zechtour von den Speyside-Destillen durch die Highlands bis zur Insel Islay im Westen sein, von wo der härteste und torfigste Stoff kommt, aber Lüning verrichtet seine Verkostungs-Vorträge neben dem leeren Fass mit der Ernsthaftigkeit, die man von einem deutschen Ingenieur erwartet.
Die Kamera ist starr auf den Mann gerichtet, der mit unbestechlichem Techniker-Blick durch eine zeitlos hässliche Titangestell-Brille Flaschenetiketten vorliest und dabei die Schrift mit dem Finger abfährt. Bis Horst Lüning die Flasche endlich entkorkt, vergehen gern zehn belehrende Minuten über Brennerei, Mälzung und Brennblasen-Vorgänge. Dann wird der Boden eines Nosing-Glases gefüllt, und los geht die wilde Geruchsbeschreibung.
„Mmh, ah, leicht, frisch, blumig, zart, da kommt die Vanille aus den Bourbon-Fässern dazu“, freut sich Horst Lüning an einem zwölf Jahre alten harmlosen Glenlivet und schwenkt ihn kräftig im Glas. „Booah! Der zieht in die Nase! Unheimlich aromatisch, unheimlich kräftig, und dahinter ein bisschen Seetang, aber der Rauch ist über allem“, stöhnt er mit einem Glas zehnjährigem Laphroaig unter der Nase. Dann geht es ans „Tasting“ mit winzigen Schlücken. Mit gespitzten Lippen wird der Whisky im Mund hin und hergespült. „Sehr einfach zu trinken, schadet nicht, so eine Flasche zuhause zu haben für Freunde, die normalerweise mit Whiskys nichts anfangen können“, heißt es dann über den Glenlivet, und vor dem Laphroaig warnt Lüning mit leicht tränenden Augen wegen des starken Raucharomas: „Überfordern Sie niemand mit diesem Single Malt, trotzdem ist er einen Versuch wert.“
Lünings Begeisterung für schottische Single Malts begann 1981 mit einer exotisch wirkenden grünen dreieckigen Flasche (Glenfiddich, 12 Jahre), als in Deutschland noch Verschnitt-Whiskys („Blended Scotch“) aus Malz und Weizen-Mischungen wie Chevas Regal oder Dimple als Krönung der Trinkkultur galten. Dass Lünings Frau Theresa 1993 schließlich im heimischen Keller einen Versandhandel mit Whisky gründete (statt mit Olivenöl), lag weniger am Single-Malt-Hobby des Gatten, sondern an den Produkteigenschaften: Öl kann schlecht werden, Whisky dagegen hat kein Haltbarkeitsdatum.
Als der nette Mann mit der Langweiler-Brille und den schlecht sitzenden Polohemden 2007 seine ersten sehr hölzernen Youtube-Filme veröffentlichte („FAZ“: „Seine Videos sind, man muss es so sagen, lang und eintönig“), war der Versandhandel längst aus dem Eigenheim-Keller im bayerischen Seeshaupt am Starnberger See in das Gewerbegebiet des Ortes umgezogen und verschickte im Weihnachtsgeschäft mehr als 1000 Pakete voller Flaschen — pro Tag. In einer Pressemitteilung zum 15-jährigen Firmenbestehen 2008 teilte das ansonsten mit Zahlen eher zurückhaltende Familienunternehmen mit, der Whiskyshop habe 2007 einen Umsatz von zehn Millionen Euro gemacht. Das durchschnittliche jährliche Wachstum bezifferten die Lünings damals mit 20 Prozent. Mit den YouTube-Filmen, für die der Claim „Treffpunkt feiner Geister“ markenrechtlich geschützt ist, soll der Umsatz noch einmal kräftig zugelegt haben. Im Shop gibt es auch eine Autogramm-Karte von Horst Lüning (ein Euro), auf der seine Unterschrift in Gold aufgedruckt ist.
Seit einigen Jahren befindet sich das Flaschen-Lager des zum deutschen Whisky-Marktführer gewordenen Versandhandels nun im Münchner Osten in unmittelbarer Nähe zu einem DHL-Paketzentrum. Am Starnberger See entstehen nur noch die Videos. Und die sind Kult: Mehr als 1600 Whisky-Videos hat Horst Lüning inzwischen gedreht, 34 000 Abonnenten folgen ihm auf den YouTube-Kanälen. Im Sommer 2014 überschritt er die Zahl von mehr als 24 Millionen Videoaufrufen. Die Internetseite des Whisky-Shops soll 2015 bereits auf mehr als zehn Millionen monatliche Seitenaufrufe gekommen sein.
Dass das alles gerade wegen des Hobbykeller-Charmes nicht ganz unerfolgreich sein kann, registrierten seine Fans spätestens, als Lüning 2014 die Internet-Adresse „Whisky.com“ erwarb - für 3,1 Millionen US-Dollar. Shop-Eigentümerin Theresia Lüning erklärte den Expansionsplan in gelassener Selbstverständlichkeit: „Whisky fristet in Deutschland nur eine Randexistenz. Global sind die Interessentenzahlen rund 30 Mal so groß. Was lag näher, als unsere über 1000 Seiten starken redaktionellen Inhalte, unsere fast 10 000 Fotos von Whiskybrennereien und deren Produkten neben unseren millionenfach abgerufenen Verkostungsvideos auch der gesamten Welt in englischer Sprache zur Verfügung zu stellen.“
Immerhin bei deutschen Fans haben Lünings Videos Kultstatus. 2016 hat eine hessische Band namens „Hasenbar“ einen „Horst Lüning Song“ aufgenommen (Refrain: „Warum haben wir das nicht schon früher gemacht, wir haben den ganzen Abend mit Horst verbracht“). Sein ältestes Video, in dem Lüning eher unbeholfen einen 16 Jahre alten Lagavulin testet (siehe hier: goo.gl/QvUsxn), haben inzwischen mehr als 200 000 Nutzer aufgerufen. „Schon beim Öffnen der Schachtel merkt man, man hat etwas Besonderes vor sich“, doziert Lüning darin hölzern und führt die Wellpappen-Einlage des Kartons vor, dann werden umständlich die drei Etiketten der Flasche untersucht. Sohn Benedikt, der seit einigen Jahren mit im Geschäft ist, hat den Lagavulin-Film 2015 als Aprilscherz nachgespielt (goo.gl/qyt7Wp).
Inzwischen treten Vater und Sohn im Youtube-Kanal von whisky.de auch gemeinsam auf. Zu ihren Publikums-Hits gehört ein Film, wo Horst und Benedikt Lüning indischen Whisky aus dem Tetra-Pak (goo.gl/2NLJmY) testen.
Wer Horst Lüning einmal mit brennender Zunge angewidert und vor Schmerz schreien hören will, dem sei das Video mit der Verkostung der Discount-Whiskys von Aldi und Lidl (ab Minute 15.20, goo.gl/kumNRC) empfohlen, das in einem für Lüning selten vernichtenden Urteil mündet („In Cola okay, alles andere geht gar nicht, tut mir leid“).
Mittlerweile gibt es kaum noch etwas, wozu Lüning keine Videos dreht. In einem „Unternehmer-Blog“ erzählt der Shopbetreiberinnen-Gatte mal über angebliche „Geheimnisse der Gesellschaft und Wirtschaft, die von Politik und Medien gerne verschwiegen werden“, mal aber auch nur über seine Tesla-Leidenschaft. Im Juni 2016 stellte Lüning auf der Autobahn München/Ulm einen 24-Stunden-Weltrekord mit 2424 rein elektrisch gefahrenen Kilometern auf.
Dann wieder redet er ausgiebig von seiner 20 Jahre alten Rolex Submariner (goo.gl/mw3yoF) oder was sein „Lastenheft“ für eine gute Brille (also seine) so alles umfasst (goo.gl/vTCV2v). Lüning erklärt die Welt, immer im Polohemd, und immer mit einer Flasche Whisky im Bild.