IWF-Aufstockung: Europa in Schuldenkrise weiter unter Druck
Washington/London (dpa) - Europa steht trotz eines zweiten Billionen-Rettungsschirms gegen die Schuldenkrise weiter unter Zugzwang.
Die anderen Industrie- und Schwellenländer mahnten auf der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) am Wochenende in Washington zusätzliche Schritte gegen die Krise an. Bei Reformen, Schuldenabbau und Konjunkturhilfen dürfe nicht nachgelassen werden, schrieben die Top-Wirtschaftsmächte in die Abschlusserklärung des Treffens. Dagegen sieht Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auch die anderen Länder außerhalb der Euro-Zone in der Pflicht.
Die Rufe nach stärkerer Krisenbekämpfung folgten dem Beschluss der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer G20, die Feuerkraft des IWF für Staaten in Schieflage um mehr als 430 Milliarden Dollar (325 Mrd Euro) aufzustocken. Damit wird neben dem höheren Schutzwall um die Euro-Länder ein weiterer Rettungsschirm im Umfang von einer Billion US-Dollar aufgespannt. IWF-Chefin Christine Lagarde lobte den Schritt als „extrem wichtig“, da die noch immer gefährliche Eurokrise globale Ansteckungsrisiken berge und die Konjunktur „fragil“ mache.
Der Schutzschirm könne weitere Anstrengungen in Europa aber nicht ersetzen, mahnte der Vorsitzende des IWF-Lenkungsausschusses, Singapurs Finanzminister Tharman Shanmugaratnam: „Wenn die Reformen an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn die Reformen an Fahrt verlieren, dann ist die Brandmauer ehrlich gesagt nicht genug“. Es müsse alles dafür getan werden, in zwei bis drei Jahren wieder auf ein „normales Wachstum“ zu kommen. US-Finanzminister Timothy Geithner forderte Europa auf, „seine Werkzeuge und Prozesse kreativ, flexibel und aggressiv zu nutzen.“
Schäuble forderte hingegen von den G20-Partnerländern, die Zusagen beim Schuldenabbau und der Finanzmarktregulierung einzuhalten. „Nicht nur Europa steht vor großen finanzpolitischen Herausforderungen“, sagte er dem Lenkungsausschuss des IWF laut Redemanuskript. Vor allem die USA und Japan müssten ihre Defizite und Schulden in den Griff bekommen. Nach der Sitzung bekräftigte er, Europa habe seinen Beitrag geleistet und sei geschlossen aufgetreten. Zugleich räumte er ein, dass die Krise noch nicht ausgestanden sei: „Wir sind nicht überm Berg, aber wir sind vorangekommen.“
Über die Einigung auf den höheren IWF-Rettungsschirm zeigte sich Schäuble erleichtert: „Das zeigt, dass wir ein großes Maß an Solidarität haben in der Weltgemeinschaft, um in Krisensituationen handlungsfähig und reaktionsfähig zu sein.“ Die USA als größter Anteilseigner der Finanzfeuerwehr beteiligen sich allerdings nicht an der Aufstockung. Sie hatten das schon vorab damit begründet, dass Europa genügend eigene Mittel habe und der IWF auch ohne frisches Geld gut bestückt sei. Schäuble sagte, der Beitrag der USA sei gewesen, die Mittelaufstockung nicht verhindert zu haben.
Großer Widerstand war auch von Schwellenländern gekommen, die mehr Mitspracherecht bei dem Fonds fordern. Zusagen machten Brasilien, Indien, China und Russland erst in letzter Minute, allerdings ohne konkrete Summen offenzulegen. Die aufstrebenden Mächte hätten bei den Verhandlungen nochmals darauf gedrungen, dass die 2010 verabschiedete Neuverteilung der IWF-Stimmrechte zu ihren Gunsten wie geplant zum Herbst umgesetzt werde, sagte Lagarde. Die Einhaltung dieses Termins forderte auch der IWF-Lenkungsausschuss von den Regierungen. Deutschland werde seine Zusagen einhalten, sagte Schäuble.
Laut der Bundesbank könnte die Finanzspritze für den IWF sogar noch größer ausfallen. Es gebe weitere Absichtserklärungen von Ländern, die aber vorerst nicht genannt werden wollten, sagte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Er betonte, mit den vereinbarten zusätzlichen Kreditlinien seien die „wesentlichen Anforderungen“ erfüllt worden. Die Bank hatte unter anderem darauf gepocht, dass die Mittel allen IWF-Mitgliedsländern zur Verfügung stehen. Von den 150 Milliarden Euro der Euro-Länder für zusätzliche Ressourcen steuert Deutschland über die Bundesbank rund 41,5 Milliarden Euro bei.
Rund 50 Milliarden Euro sollen von europäischen Ländern außerhalb der Eurozone kommen. Japan will 60 Milliarden Dollar beisteuern, Südkorea und Saudi-Arabien 15 Milliarden und Australien 7 Milliarden. Aus Schwellenländern kommen demnach mindestens 68 Milliarden Dollar. „Das ist kein spezieller Topf mit einem EU-Schild drauf - er ist für alle IWF-Mitglieder“, betonte Lagarde am Samstag nochmals.
Kritik im eigenen Land musste sich der britische Schatzkanzler George Osborne gefallen lassen. Ihm wurde vorgeworfen, er binde Steuerzahler an mögliche weitere Rettungszahlungen für problemgeplagte Länder der Eurozone. Sein Land beteiligt sich mit zehn Milliarden Pfund (11,8 Mrd Euro) an der Aufstockung.
Der IWF-Lenkungsausschuss sprach sich auch für einer weitere Lockerung der Geldpolitik aus, um die Konjunktur zu stützen, solange die Inflationsziele eingehalten werden. Dem standen viele Notenbanker skeptisch gegenüber. Die Krise privater und öffentlicher Schulden sei nicht länger ein Problem, das mit größeren Schutzschirmen und einer aktiveren Notenbank bekämpft werden könne, meinte EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen am Freitagabend (Ortszeit). Man solle nicht auf eine Wunderwaffe hoffen, die nicht existiere. Stattdessen seien „konsistente und entschlossene Reformen“ nötig.