JPMorgan Chase verzockt Milliarden
New York (dpa) - Die milliardenschweren Fehlspekulationen bei der US-Bank JPMorgan Chase haben die Finanzmärkte in Aufruhr versetzt.
Nachdem das größte und erfolgreichste aller amerikanischen Kreditinstitute einräumen musste, rund 2 Milliarden Dollar oder umgerechnet 1,5 Milliarden Euro bei riskanten Finanzwetten verloren zu haben, kannten die Bankaktien auf der ganzen Welt am Freitag nur noch eine Richtung: nach unten.
Die Deutsche Bank verlor bis zum Nachmittag mehr als 3 Prozent an der Frankfurter Börse, die Commerzbank mehr als 2 Prozent. Noch schlimmer traf es die amerikanischen Häuser: Bei Goldman Sachs und der Citigroup ging es nach Börseneröffnung in New York um 4 Prozent nach unten, bei der Bank of America um 2 Prozent. Am schlimmsten traf es natürlich JPMorgan selbst. Der Kurs brach um 8 Prozent ein.
Die Fehlspekulationen weckten Erinnerungen an die Zeiten der Finanzkrise: Die Bank hatte am späten Donnerstag kurz nach Börsenschluss in New York hektisch eine Telefonkonferenz einberufen. Bankchef Jamie Dimon persönlich überbrachte den zugeschalteten Analysten und Investoren die schlechte Nachricht. Dabei sparte der mächtigste Banker der Vereinigten Staaten nicht mit Selbstkritik.
Die Verluste seien selbstverschuldet, sagte Dimon. Er sprach von „ungeheuerlichen Fehlern“. Derzeit werde untersucht, wie es genau dazu kommen konnte. Klar ist nach den Worten des Bankchefs bislang nur, dass die internen Warnsysteme - komplexe mathematische Modelle - versagt haben, und die Probleme deshalb unentdeckt blieben, bis es zu spät war. „Das ist nicht die Art, wie wir unser Geschäft betreiben wollen“, sagte Dimon.
Was war passiert? Das sogenannte Chief Investment Office von JPMorgan Chase war im großen Stil Wetten am Kreditmarkt eingegangen. Die im Verborgenen arbeitende Sparte soll eigentlich Risiken innerhalb der Bank ausgleichen, in der Fachwelt Hedging genannt. Zuerst warfen die Geschäfte auch gutes Geld ab, zu Jahresbeginn drehten sich jedoch die Märkte und im April kam es zum Desaster.
Seitdem fielen 2 Milliarden Dollar an Verlust an. „Es kann noch schlimmer werden“, sagte Dimon. Denn die Finanzwetten laufen weiter. Die Bank will nicht überhastet aus den Geschäften aussteigen und damit noch größere Schäden riskieren. „Wir werden das lösen“, versicherte Dimon. Er lehnte es mehrfach ab, die Details der problematischen Transaktionen offenzulegen.
Für die verantwortliche Sparte sagte Dimon einen Verlust von 800 Millionen Dollar im laufenden Quartal voraus, nachdem hier ursprünglich ein Gewinn von 200 Millionen Dollar stehen sollte. Das bedeutet: Auch der Gesamtgewinn wird merklich niedriger ausfallen als gedacht. Im ersten Quartal hatte die Bank unterm Strich noch 5,4 Milliarden Dollar verdient.
Wirtschaftsprofessor Thomas Hartmann-Wendels von der Universität Köln machte das Management der Bank für den Verlust verantwortlich. „Ich glaube nicht, dass ein einzelner Händler versucht hat, bewusst Regeln der Bank zu verletzen und Risiken einzugehen.“ Damit unterscheidet sich der Fall von denen bei der Schweizer UBS oder der französischen Société Générale, die ebenfalls Milliarden bei Fehlspekulationen verloren hatten.
Bereits vor ein paar Wochen war Kritik an den Spekulationen von JPMorgan Chase aufgekommen. Die Finanz-Nachrichtenagentur Bloomberg und das „Wall Street Journal“ hatten enthüllt, dass ein Londoner Händler der Bank derart große Geschäfte tätigt, dass der ganze Markt davon bewegt wird. Der Händler wurde als der „Wal von London“ bekannt. Bankchef Dimon hatte damals von einem „Sturm im Wasserglas“ gesprochen.
Solche hochkomplexen Wetten mit abgeleiteten Finanzprodukten (Derivaten) waren ein Auslöser für die Krise des Jahres 2008. Neue Finanzmarkt-Vorschriften wie die Volcker Rule in den USA sollten eigentlich verhindern, dass die Banken jemals wieder in ihre Zockermentalität zurückfallen und am Ende der Staat für die Folgen gerade stehen muss. Die Grenzen zwischen dem sogenannten Eigenhandel und Absicherungsgeschäften sind aber fließend.
„Dieser Handel hat nicht die Volcker Rule verletzt, aber das Dimon-Prinzip“, sagte der Bankchef. Jamie Dimon ist einer der lautesten Kritiker von Einschränkungen in der Bankenwelt. Dies konnte er sich leisten, weil er sein Haus beinahe ohne Blessuren durch die Finanzkrise gesteuert hatte. Die New Yorker Bank ist das bestverdienende Kreditinstitut der Vereinigten Staaten.
Für Bankenkritiker wie den demokratischen US-Senator Carl Levin war der Milliardenverlust eine Steilvorlage: Dies sei eine „starke Erinnerung“ daran, dass eine strengere Bankenregulierung nötig sei, erklärte Levin noch am Abend. Niemals wieder dürfe es soweit kommen, dass die Steuerzahler für die Fehler der Banker zur Kasse gebeten werden.