Krisenherde trüben Aussichten für Nutzfahrzeugbranche
Hannover (dpa) - Die Konjunktur lahmt - und die internationalen Krisen machen alles noch schlimmer: Zu ihrer Weltleitmesse IAA in Hannover haben Europas Lastwagen-Hersteller viele Sorgen an Bord.
Die Hoffnung auf eine Erholung ihres Heimatkontinents hat sich zerschlagen, in Russland verschärft die Ukraine-Krise die ohnehin großen Probleme der dortigen Wirtschaft und auch der Hoffnungsmarkt Brasilien kann die hohen Erwartungen nicht erfüllen. „Wir können nicht mit Rückenwind aus den Märkten rechnen“, stellte Daimlers Lkw-Chef Wolfgang Bernhard auf der Messe fest. Eher besorgt statt optimistisch - Einschätzungen dieser Art prägten den Auftritt der Lkw-Manager.
Zwar gehört Branchenprimus Daimler zu den Brummi-Herstellern, die die vielen Probleme dank ihrer weltweiten Aufstellung ausgleichen können. Doch der Manager warnt, dass neben dem Ukraine-Konflikt auch die Feindseligkeiten im Nahen Osten Europas Wirtschaftsdynamik zum Erliegen bringen könnten. Zwei Krisenherde gleichzeitig könne man sich schlicht nicht leisten, meint Bernhard.
Immerhin: Leise Hoffnung hat Daimlers oberster Trucker, dass die Messe Startschuss für einen zarten Endspurt zum Jahresende sein könnte. Schon vor zwei Jahren hätten die Spediteure auf der IAA erst das Angebot sondiert und danach die Bestellungen aufgegeben.
Doch darauf können nicht alle warten. MAN schickt ab nächstem Monat je 2000 Mitarbeiter an den Standorten Salzgitter und Steyr (Österreich) in Kurzarbeit. Die läuft vorerst bis Ende des Jahres. Wenn sich das Blatt bis dahin nicht wende, „müssen wir weiter über Kurzarbeit diskutieren““, sagte MAN-Nutzfahrzeugchef Anders Nielsen. Auch ihn sorgen Russlands schwächelnde Wirtschaft und die Ukraine.
Laut Nielsen dürften die Verkaufszahlen westlicher Lkw-Hersteller in Russland um rund ein Viertel „oder sogar noch mehr“ einbrechen. Das gelte für die Nutzfahrzeuge über sechs Tonnen. „Russland ist einer unserer wichtigsten Exportmärkte“, betonte der Manager des Münchner Lkw-Bauers, der zum VW-Konzern zählt. Die Unsicherheit wegen der Ukrainekrise belaste das Investitionsklima in der gesamten Region. Der Nutzfahrzeugabsatz gilt als ein wichtiger Indikator für die Zuversichtlichkeit in der stark logistikabhängigen Industrie.
Auch Eckhard Scholz, Chef der leichten Nutzfahrzeuge bei VW, schaut mit bangem Blick in die Ukraine. „Wir hoffen sehr, dass es bald zu einer Einigung der Konfliktparteien kommt“, sagte er. Im bisherigen Jahresverlauf sei die Absatzentwicklung in Osteuropa mit minus 0,3 Prozent aber „trotz der Ukraine-Krise noch erstaunlich stabil“.
Dafür machen die Märkte im südlichen Europa weiter Sorgen. Scholz warnte vor dem Risiko einer neuen Rezession. „Vor allem in Frankreich und in Italien besteht weiterhin die Gefahr“, sagte er. Es sei daher richtig, dass der VW-Konzern jüngst ein Spar- und Effizienzprogramm gestartet habe. Europa ist für VW-Nutzfahrzeuge bei Absatz und Gewinn international der mit Abstand wichtigste Markt. Weltweit gesehen sei er mit dem bisherigen Geschäftsjahr aber zufrieden, betonte Scholz.
Die VW-Nutzfahrzeuge stehen für das Segment leichter Wagen, in dem neben Geschäftskunden wie etwa Handwerksbetrieben auch der private Konsum den Absatz bestimmt, beispielsweise bei den Familienbussen.
Jenseits dieser leichten Nutzfahrzeuge, nämlich bei den mittleren und schweren Lastern, macht das Wort Krise längst die Runde. Die Kurzarbeit bei MAN ist ein ganz konkretes Beispiel, die unisono verhaltenen Prognosen der Nutzfahrzeugmanager zur IAA ein anderes.
Denn auch auf dem Heimatkontinent entwickelt sich das Geschäft mit Lastwagen bislang deutlich schlechter als zu Jahresbeginn erhofft. Der globale Branchenprimus Daimler kappte schon zur Halbjahresbilanz Ende Juli seine Prognosen für den Heimatkontinent. In Westeuropa setzten die Schwaben bisher im Jahr (Ende August) rund 34 000 neue Lastwagen ab, ein Jahr zuvor waren es noch etwa 37 000 Stück gewesen - ein Minus von acht Prozent, das sich durch alle Segmente zieht. Für den Gesamtmarkt sieht Daimler-Manager Bernhard mindestens fünf Prozent Rückgang.
Dass Daimlers zweitgrößte Sparte 2014 trotzdem an allen Ecken zulegen will, liegt am starken US-Geschäft. Dort baut der Konzern seine Produktion aus. In Brasilien ächzt dagegen auch Daimler unter einem heftigen Nachfrageeinbruch - und könnte deshalb dort weitere Stellen abbauen. Man spreche schon mit den Gewerkschaften, sagte Bernhard.