Rating-Agenturen am Pranger
US-Justizministerium verklagt Standard & Poor’s wegen zu rosiger Bewertungen. Es geht um Milliarden.
New York. Es sind Sätze wie diese, die Anlegern auch Jahre nach der Finanzkrise die Zornesröte ins Gesicht treiben dürften: Das Geschäft könnte „von Kühen erdacht worden sein und wir würden es bewerten“, schreibt der Analyst einer Ratingagentur im April 2007 einem Kollegen.
Ein anderer spricht im Dezember 2006 davon, dass die Rating-Agenturen mit der Bewertung komplexer Finanzprodukte ein „Monster“ erschaffen hätten: „Lasst uns hoffen, dass wir alle wohlhabend und in Rente sind, wenn dieses Kartenhaus zusammenfällt.“
Hinter dem Satz steht zwar ein Smiley — der Rating-Experte meinte seine Ausführung ironisch. Doch spätestens im September 2008 dürfte keinem der Beteiligten mehr zum Lachen zumute gewesen sein. Damals brach die US-Investmentbank Lehman Brothers zusammen. Es war der Höhepunkt der Finanzkrise. Nur das massive staatliche Eingreifen verhinderte damals den Kollaps des gesamten Finanzsystems.
Seit Jahren versuchen Investoren, die Rating-Agenturen für ihre im Rückblick viel zu rosigen Bewertungen zur Rechenschaft zu ziehen. Denn mit dem Niedergang der Märkte verloren die einst als so sicher eingestuften US-Hypothekenpapiere rapide an Wert. Leidtragende waren Großinvestoren genauso wie Kleinanleger. Doch Klagen blieben zumeist erfolglos: Die Rating-Agenturen zogen sich auf den Standpunkt zurück, sie hätten lediglich eine Meinung vertreten. Und die freie Meinungsäußerung sei von der Verfassung garantiert.
Doch langsam scheint sich der Wind zu drehen. Einen Beweis für einen Sinneswandel liefert die Klage des US-Justizministeriums gegen die führende Rating-Agentur Standard & Poor’s. Es geht um Milliarden. Einige Beobachter sehen darin einen Präzedenzfall auch für Vorstöße gegen die beiden anderen Ratingriesen Moody’s und Fitch.
S&P habe die Risiken bei bestimmten Wertpapieren bewusst heruntergespielt, so der Vorwurf des Justizministeriums. Beweisen sollen das unter anderem interne E-Mails. Grund für das Verhalten sei gewesen, dass die Rating-Agentur Aufträge habe ergattern wollen. Denn nicht die Anleger hatten S&P mit der Bewertung der Hypothekenpapiere betraut, sondern die verkaufenden Banken. Dieses Geschäftsmodell wird zwar seit Jahren wegen der Interessenkonflikte kritisiert, doch ist es bis heute üblich.
Nun aber scheint die Abwehrfront zu bröckeln: Mitte Januar hatte bereits der Bundesgerichtshof in Karlsruhe entschieden, dass Rating-Agenturen in Deutschland grundsätzlich wegen ihrer Einschätzung verklagt werden können. Zuvor hatte ein australisches Gericht S&P zur Zahlung einer millionenschweren Entschädigung verurteilt, weil S&P viele Anleger in die Irre geführt habe.