RWE vor Einigung über niederländisches AKW
Essen/Borssele (dpa) - Der zweitgrößte deutsche Stromversorger RWE steht vor einem Einstieg in die niederländische Atomstromerzeugung. Es geht um eine 30-Prozent-Beteiligung am AKW Borssele in Zeeland an der Nordsee.
Berichte, wonach der Energiekonzern sich auch an einem AKW-Neubau beteiligen will, betätigte RWE am Dienstag nicht. Dazu gebe es keinen Beschluss, sagte ein Sprecher. Nach Informationen des Westdeutschen Rundfunks (WDR) hat der niederländische Versorger Delta das Interesse aber bestätigt.
„Spiegel-Online“ hatte zunächst berichtet, RWE habe Interesse an einem Meilerneubau in Borssele, etwa 200 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Konzernsprecher Jürgen Frech sagte gegenüber dpa: „Es gibt keinen Beschluss, sich an einem neuen Kernkraftwerk in den Niederlanden zu beteiligen.“ Dem WDR-Bericht zufolge will sich RWE mit 20 Prozent an Borssele II beteiligen. Das habe eine Delta-Sprecherin gegenüber WDR.de bestätigt. Baubeginn könnte 2015 sein.
Der Essener Konzern, der strikt an seinem Atomkurs festhält, will aber auf jeden Fall 30 Prozent am einzigen kommerziellen niederländischen Meiler Borssele I übernehmen. Der Anteil dürfte RWE rund 600 Millionen Euro kosten. RWE habe mit dem öffentlichen niederländischen Stromversorger Delta eine Absichtserklärung unterzeichnet, sagte Frech und bestätigte damit einen Bericht der niederländischen Zeitung „Het Financieele Dagblad“.
Anders als Deutschland setzten die Niederlande trotz des Reaktorunglücks in Japan auf den Ausbau der Kernenergie - dabei auch durch Kooperationen mit ausländischen Partnern. Ein mögliches Zusammengehen zwischen RWE und Delta hatte der christdemokratische Wirtschaftsminister Maxime Verhagen in einer Parlamentsdebatte ausdrücklich begrüßt. Das Kabinett aus Rechtsliberalen und Christdemokraten unter von Ministerpräsident Mark Rutte hat erklärt, es strebe die Vergabe einer Baugenehmigung für ein zweites Kernkraftwerken in den Niederlanden bis 2014 an. Die oppositionellen Sozialdemokraten und Grün-Linken lehnen weitere Meiler ab.
Delta prüft derzeit Möglichkeiten zum Bau eines weiteren AKW am Standort Borssele. Dafür hatte das Unternehmen im November 2010 einen Kooperationsvertrag mit dem französischen Energiekonzern EDF abgeschlossen. Auch die Gesellschaft Energy Resources Holding (ERH) will einen Meiler bauen.
Die Frage nach dem weiteren Atomkurs stellt sich in anderen europäischen Ländern. Derzeit befindet sich RWE zusammen mit Eon in Großbritannien in einer Projektphase zum Bau neuer Meiler. Dort gebe es noch keine politische Entscheidung, sagte Frech. In Polen warb Ministerpräsident Donald Tusk Medienberichten zufolge bei RWE für eine Beteiligung der Deutschen am Betrieb eines neuen Atomkraftwerks. RWE bestritt, sich an einem polnischen Meiler beteiligen zu wollen.
Die jetzt in den Niederlanden mit Delta getroffene Absichtserklärung sieht im Kern vor, dass Delta 70 und RWE 30 Prozent an dem Kraftwerk hält. Kommt das Geschäft zustande, käme es einer außergerichtlichen Einigung zwischen den Unternehmen gleich. RWE wollte 2009 im Zuge der damaligen Übernahme des niederländischen Versorgers Essent (Arnheim) auch gleich dessen 50 Prozent-Anteil an Borssele mitübernehmen. Delta, das 19 Städten und 3 Provinzen gehört, hatte gegen eine Übernahme von 50 Prozent durch RWE geklagt.
Das Oberste Gericht bestätigte im Januar eine einstweilige Verfügung des Bezirksgerichtes in Arnheim. Dieses hatte Essent den Verkauf seiner 50-Prozent-Beteiligung an Borssele an private Eigentümer untersagt. Die Übernahme von Essent war nur unter der Voraussetzung genehmigt worden, dass Borssele bis auf weiteres in öffentlicher Hand bleibt. Der Kaufpreis für Essent fiel dadurch um 950 Millionen auf 8,3 Milliarden Euro. Der 50-Prozent-Anteil an Borssele wurde von Essent in eine neue Gesellschaft ausgegliedert. Kommt das Geschäft zwischen Delta und RWE zustande, erhält RWE aus dem Paket 30 und Delta 20 Prozent. Der Kaufpreis dürfte zumindest teilweise an beteiligte Kommunen fallen, die hinter Essent standen.