Milliardenübernahme Siemens will US-Softwareschmiede kaufen
München (dpa) - Der Elektrokonzern Siemens will mit einer Milliardenübernahme in den USA sein Geschäft mit Industriesoftware ausbauen. Für den Softwarespezialisten Mentor Graphics will Siemens 4,5 Milliarden Dollar (rund 4,1 Mrd Euro) zahlen.
Der Abschluss des Deals wird im zweiten Quartal 2017 erwartet. Mentor ist Spezialist für Automatisierungssoftware sowie das Design von Halbleitern.
„Siemens übernimmt Mentor als Teil des Vision 2020-Konzepts und ist damit Benchmark für das neue industrielle Zeitalter“, erklärte Siemens-Chef Joe Kaeser. Sein Vorstandskollege Klaus Helmrich ergänzte: „Mentor komplementiert unser starkes Angebot bei Mechanik und Software mit dem Design, Test und der Simulation von elektrischen und elektronischen Systemen.“
Mit dem Zukauf will Siemens seinen Kunden Design- und Produktionssoftware für nahezu alle Produktkategorien anbieten - von Flugzeugen über Züge bis hin zu Tennisschuhen, wie Chuck Grindstaff, zuständiger Manager für Produktsimulationssoftware bei Siemens, in einer Telefonkonferenz sagte.
Rund die Hälfte seines Umsatzes von jährlich rund 1,2 Milliarden Dollar macht Mentor mit der Chipindustrie. Siemens-Finanzchef Ralf Thomas sagte, in den vergangenen Quartalen habe Mentor etwas unter der Fusionswelle bei den Chipkonzernen gelitten - nun lasse der Gegenwind aber spürbar nach. Er verwies außerdem auf ein starkes Standbein von Mentor in der Autoindustrie, mit der das Unternehmen rund jeden fünften Dollar an Umsatz erziele.
Siemens stärkt den Softwarebereich seit Jahren durch Zukäufe. Zuletzt hatten die Münchner im Januar den Kauf von CD-adapco für knapp eine Milliarde Dollar angekündigt und sich erst kürzlich an dem kleineren Anbieter Bentley Systems strategisch beteiligt. Die Sparte mit Industriesoftware ist eine der profitabelsten bei Siemens, gilt aber auch als relativ konjunkturanfällig. Vergleichsweise hohe Gewinnspannen soll auch Mentor nun mitbringen.
Sowohl Mentor-Großaktionär Elliott Management als auch Mentor-Chef Walden Rhines unterstützen das Geschäft. „Siemens' Ressourcen und zusätzliche Investitionen werden es uns ermöglichen, Neuerungen noch schneller einzuführen und unsere Vision zu beschleunigen, die Entwicklung von kompletten automatisierten Designlösungen für elektronische Systeme zu schaffen“, erklärte Rhines.
Die Münchner gehen davon aus, dass der Neuerwerb ab dem dritten Jahr nach Abschluss zum Gewinn beiträgt. Ab dem vierten Jahr soll sich das Geschäft vor Zinsen und Steuern dank einer größeren Kundenkartei und Kostensenkungen mit rund 100 Millionen Euro positiv bemerkbar machen. Vorher dürften aber durch die Integration in den ersten beiden Jahren auch jeweils Kosten in dieser Höhe anfallen, sagte Thomas.
Siemens tritt mit seiner Sinalytics getauften Plattform für Industriesoftware auch gegen die Bestrebungen von Rivalen an. US-Konkurrent General Electric baut das Geschäft mit Softwareprogrammen auf seiner Plattform Predix aus. Die Kalkulation der Konzerne: Je mehr sie den Kunden aus einer Hand anbieten können, umso weniger können Konkurrenten in ihren Kundenbeständen wildern, weil ein Umstieg schwieriger wird.
Mit dem Zukauf arbeitet Kaeser auch weiter an der Neuausrichtung des Konzerns auf die Schwerpunkte Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung. Erst zur Bilanzvorlage in der vergangenen Woche hatte er angekündigt, die Medizintechnik an die Börse zu bringen und damit weiter zu verselbstständigen. Das Geschäft soll auch künftig weiter unter dem Dach von Siemens geführt werden.