Stimmung in der deutschen Wirtschaft stark eingetrübt

München (dpa) - Weniger Aufträge, sinkende Produktion und Stellenabbau in der Industrie: Die deutsche Wirtschaft gerät immer stärker in den Sog der Eurokrise. Der ifo-Geschäftsklimaindex ist im Juli überraschend stark gefallen - von 105,2 auf 103,3 Punkte.

Die Unternehmen bewerten sowohl ihre aktuelle Lage als auch ihre Geschäftsaussichten im kommenden halben Jahr deutlich schlechter. „Die Eurokrise belastet zunehmend die Konjunktur in Deutschland“, sagte ifo-Präsident Hans-Werner Sinn am Mittwoch in München. Aufwärts geht es nur im Einzelhandel. Dank niedriger Arbeitslosigkeit und steigender Löhne bleibt der private Konsum eine Stütze.

Ifo-Konjunkturexperte Gernot Nerb sagte: „Eine Rezession in Deutschland sehen wir nicht - aber der Abschwung ist greifbar.“ Die Exporterwartungen hätten sich verschlechtert, und die Wirtschaft investiere weniger in neue Anlagen und Ausrüstungen. Die Aufträge in der Stahl- und Chemieindustrie, im Maschinenbau wie in der übrigen Investitionsgüterindustrie gingen seit Monaten zurück. „Wir sehen deutliche Bremsspuren“, sagte Nerb.

Jedes zehnte Unternehmen klagt inzwischen über zu hohe Lagerbestände. Die Produktion werde seit Monaten zurückgefahren. Noch liege die Kapazitätsauslastung über dem langjährigen Durchschnitt, „aber die Richtung geht nach unten“. Das wirkt sich auch auf die Arbeitsplätze negativ aus: In der Industrie werden inzwischen mehr Stellen gestrichen als neue aufgebaut.

Die Bundesregierung sieht ihre Wachstumsprognose von 0,7 Prozent in diesem Jahr aber nicht in Gefahr. Die Eurokrise erhöhe die Konjunkturrisiken, aber die deutsche Wirtschaft sei robust, sagte ein Sprecherin des Wirtschaftsministeriums in Berlin.

Einige Experten befürchten jedoch einen Abwärtssog. Der Rückgang der Erwartungen auf den tiefsten Stand seit der Finanzkrise 2009 dürfte sich „in den kommenden Monaten auch in einer Schwäche des Auftragseingangs der deutschen Industrie niederschlagen“, erklärte die Landesbank Baden-Württemberg. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer warnte: „Das Risiko ist deutlich gestiegen, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal fallen wird.“

Einziger Lichtblick im Juli ist der private Konsum. Der Einzelhandel beurteilt Lage und Aussicht sogar günstiger als im Vormonat. Niedrige Arbeitslosigkeit und steigende Löhne sorgten für eine rege Nachfrage nach Unterhaltungselektronik, Möbeln und Kleidung, erklärte ifo-Experte Nerb. „Auch die Konsumgüterindustrie hält sich recht gut.“

Im Wohnungsbau bleibt die Lage ebenfalls positiv. Niedrige Zinsen und Inflationsängste beflügeln die Nachfrage. Aber Staat und Kommunen sparen, im Straßenbau herrscht Flaute, die Konjunkturprogramme sind ausgelaufen. Unter dem Strich hat sich das Geschäftsklima im Bau wie auch im Großhandel verschlechtert.

„Entscheidend ist die Großwetterlage: Dass die USA und China in Fahrt bleiben und der Euroraum allmählich Boden unter die Füße bekommt“, sagte Nerb. Italien und Spanien müssten zeigen, dass sie kein Fass ohne Boden seien. Im vergangenen Jahr hatte die deutsche Wirtschaft noch 9,3 Prozent ihrer Exporte in diese beiden Länder verkauft.

Die Nachfrage in den Krisenländern sei nicht ganz am Boden, „aber die Musik spielt im Geschäft außerhalb Europas“, sagte Nerb. „Wenn in China die Konjunktur wieder anzieht, wenn die USA in der Erholungsphase bleiben und Lateinamerika relativ gut läuft, dann müsste das vom Export her eine Stütze sein.“ Die deutsche Wirtschaft sei im Abschwung, aber nicht vor einem Absturz wie 2009: „Ich sehe nicht, dass wir in eine Rezession reinlaufen.“